Und, haben Sie sich schon von dem letzten langen Text in der Reihe „Roadtrip Sardinien“ erholt? Ich hoffe es und freue mich, daß Sie wieder da sind. Den vergangenen Tag haben Sie mich von Portoscuso nach Oristano begleitet. Heute fahren wir nach Tharros, lernen Giuseppe und Hildchen kennen, genießen Ausblicke und fahren nach Bosa, wo wir in einer kleinen Trattoria fürstlich bewirtet werden. Trinken Sie einen guten Kaffee oder Tee und gönnen sich ein Cornetto während ich Sie weiter durch Sardinien zerre.
Guten Morgen Oristano!
Lautes Scheppern und ein italienischer Wortschwall unter meinem Fenster reißen mich um halb sieben unsanft aus dem Schlaf. Es ist die Müllabfuhr, die mit einem kleinen Piaggio Ape Kastenwagen unterwegs ist um die sehr kleinen Mülleimer vor den Haustüren zu leeren. Und den halben Straßenzug mit einer heftig geführten Unterhaltung zu beschallen. Der Himmel beginnt gerade erst, sich zaghaft rosa zu verfärben. Wenn ich schon mal wach bin, dann kann ich die Gunst der Stunde nutzen um das Gemeinschaftsbad zu belegen …
Bis ich fertig bin hat sich die Sonne über den Horizont gewagt und ich laufe mit der Kamera in der Hand durch das sehr stille und noch nicht erwachte Oristano. Schon gestern ist mir die Keramik überall in der Stadt aufgefallen und mein Reiseführer informiert mich darüber, daß Oristano einst der Hauptproduzent und -lieferant der gesamten Insel für Krüge, Vasen und Alltagsgeschirr, genannt Stangiadas, aus Keramik war. Auch heute wird dieses Handwerk hier noch ausgeübt, doch zu meinem Glück haben die Läden um diese Uhrzeit noch geschlossen. Ich hab eine Schwäche für handgemachte Keramik.
Übrigens, Oristano wurde 1070 nach Christus von den ehemaligen Einwohnern Tharros gegründet, die mit Sack und Pack ihr malerisch auf der Halbinsel Sinis gelegenes Zuhause verließen weil sie die Nase voll hatten von den sarazenischen Seeräubern, die ständig ihre Stadt überfielen. Bedeutung erlangte Oristano im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, als sie die Hauptstadt des Judikats Arborea wurde und den spanischen Aragonesen, die Sardinien als Lehen vom Papst erhalten hatten und es mit brutaler Härte regierten, erbitterten Widerstand leistete. Herausragende Figur dieses Abwehrkampfes war Eleonora von Arborea, die als Richterin 1383 nach dem Tod ihres Bruders die Regierungsgeschäfte übernahm.
Darf ich vorstellen? Das ist das Standbild von Eleonora von Arborea, der es zeitweise gelang, beinahe die gesamte Insel Sardinien gegen Aragon zu vereinigen. Ihr größter Verdienst allerdings war die Herausgabe des „Carta de Logu„, eines ziemlich fortschrittlichen Straf- und Zivilgesetzbuches, das zum Vorbild der sardischen Gesetzgebung wurde. Sie schaffte darin die Leibeigenschaft ab, stattete Frauen mit Rechten aus und gab jedem Bürger das Recht auf Eigentum an Land, Pferden und Vieh. Sie ist bis heute eine der angesehensten Persönlichkeiten der sardischen Geschichte und obwohl ich lange recherchiert habe, findet sich kaum etwas an deutschen Texten zu ihrer Person. Veröffentlichungen in italienisch findet man, was mir leider nicht viel nützt … Ich würde gerne mehr über diese interessante Frau erfahren.
Ich verabschiede mich von Eleonora. Es ist kurz nach zehn und ich muss bis elf Uhr aus meinem B&B ausgecheckt sein. Der Inhalt meines Koffers liegt noch kreuz und quer im Raum und ich brauche auch einen Supermarkt um meine Vorräte an Wasser und Obst aufzufüllen bevor ich mich auf den Weg dorthin mache, wo vor fast tausend Jahren die Gründer von Oristano vor den Sarazenen geflüchtet sind.
Eine private Führung durch Tharros.
Zwei Herren kommen den Hügel hoch. Sie sehen aus wie Gestalt gewordene Klischees. Der eine ein hünenhafter, blonder Teutone und der andere ein kleiner, drahtiger, dunkler Südländer. Der Kleine erzählt und gestikuliert lebhaft, der Große schaut interessiert dorthin, wo die Hände seiner Begleitung hindeuten. Die Frauen laufen hinterher und schenken den beiden keine Beachtung.
„Ach Giuseppe, reg dich doch nicht auf. Frauen verstehen halt nicht, warum Männer kühles Bier brauchen,“ sagt der Hüne und klopft dem Kleinen kumpelhaft auf die Schulter. Ich muss lauthals lachen, die beiden Herren schauen mich an und mit einem Zwinkern sage ich „So lange die Frau das Bier nicht die ganze Zeit hinter Ihnen her schleppen muss.“ Die zwei lachen und kommen mit mir ins Gespräch. Stellt sich heraus, der Kleine ist gebürtiger Sarde und hat vierzig Jahre in Deutschland gelebt um jetzt im Alter mit seinem Hildchen den Lebensabend in seiner Heimat Sardinien zu verbringen. Der Hüne und seine Frau seien Freunde aus Deutschland, leider interessieren die Frauen sich ja so gar nicht für Geschichte. Dabei wäre das doch ein so toller Ort, schwärmt Giuseppe. Ich stimme ihm zu und ehe ich mich versehe, haben Guiseppe und sein hünenhafter Freund mich eingeladen, den Rundgang durch Tharros gemeinsam mit ihnen fort zu setzen.
Hildchen freut sich, hat ihr Giuseppe doch noch jemanden gefunden, den seine Geschichtsbegeisterung nicht stört. Und ich freue mich, weil ich auf diese Art noch mehr über die größte erhaltene phönizisch-römische Hafenstadt Sardiniens erfahre als das, was auf den Hinweistafeln steht. Die Siedlung wurde bis ins elfte Jahrhundert bewohnt bevor die Einwohner keinen Bock mehr auf die ständigen Überfälle hatten und Tharros aufgaben. Treibsand und Dünen bedeckten die verlassene Siedlung, nachdem die Einwohner einen guten Teil der Häuser abgebrochen hatte um aus den Steinen in Oristano neue Behausungen zu errichten.
Wieder entdeckt haben den Ort englische Hobby-Archäologen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts und lösten damit eine Art Goldfieber aus, nachdem sie reich ausgestattete Punier-Gräber fanden. Abenteurer aus ganz Europa fielen dort ein, durchwühlten zusätzlich zu den Bewohnern des Umlandes gierig die Dünen. Gräber wurden ausgeräumt, Grabbeigaben eingeschmolzen und alles, was nicht niet- und nagelfest war, verkauft. Die wenigen Reste, die diesem zerstörerischen Treiben entkamen, sind heute in Museen in Cagliari, Sassari und Oristano untergebracht. Giuseppe wird sehr wütend, als er davon erzählt, welch unwiederbringlichen Schätze diese Barbaren zerstört haben. Ich kann ihn verstehen.
Im Schatten des Torre di San Giovanni
„Wissen Sie, junge Frau,“ sagt Hildchen mit einem wissenden Nicken, „man braucht etwas Eigenes in jeder Beziehung. Ich finde es toll, daß Sie alleine reisen – was Sie Ihrem Mann alles zu erzählen haben werden wenn sie wieder zu Hause sind, das ist wichtig. Man muß doch etwas haben, worüber man sich erzählen kann, finden Sie nicht? Das macht eine Beziehung erst interessant und spannend, wenn man nie aufhört sich etwas zu sagen zu haben.“ Stimmt.
Ich verabschiede mich herzlich von Giuseppe und seinem Hildchen sowie ihren deutschen Freunden. Denn ich möchte den Hügel hinauf zum Torre di San Giovanni. Nicht nur wegen der Aussicht, dort findet sich auch weit und breit der einzige Schatten, in dem ich Mittagspause zu machen gedenke. Alleine und nachdenklich stapfe ich den kleinen Trampelpfad zu dem Turm hinauf.
Im Schatten des alten Turmes genieße ich nicht nur meine schattige Pause sondern auch eine wunderbare Aussicht.
Der Weg nach Bosa überrascht mit Kurven.
Während ich oben im Schatten des Torre di San Giovanni gesessen und die Aussicht genossen habe, hat der Flummi stundenlang in der prallen Mittagssonne gestanden und mir schlägt die Hitze entgegen als ich die Türen öffne. Ich vermisse in diesem Moment die Klimaanlage. Ich will weiter, nach Bosa. Nach ein paar Minuten wage ich es, mich in den Flummi zu falten. Einfach alle Fenster öffnen, dann wird das schon.
Mein Weg führt mich durch lange Felder in der Ebene bevor es in die Berge geht. Sanft kurvt die Straße an Hängen entlang, die Aussicht ist grandios und ich freue mich auf mein nächstes Ziel. Ab und zu überholt mich ein Einheimischer und ich stelle erneut fest, die Sarden fahren zwar recht sportlich, bedrängen mich jedoch nie. Sobald sich die Möglichkeit bietet, werde ich einfach überholt. Ohne Lichthupe, ohne obszöne Gesten, ohne bis auf die Stoßstange auffahren, ohne Drängelei. Empfinde ich als sehr angenehm. Denn ich weiß nie genau, wie schnell ich eigentlich fahren darf.
Die Beschilderung ist … anders als in Deutschland. Zum einen gibt es wesentlich weniger Schilder und zum anderen scheinen die, gerade in Baustellen, mehr so eine Empfehlung zu sein. Kein Mensch fährt zehn km/h in einer Baustelle. Kein Mensch außer der dusseligen Touristin … Vor Kreuzungen taucht gerne mal ein Schild auf, das die Geschwindigkeit herunter regelt auf fünfzig. Nach der Kreuzung darf man dann wieder neunzig fahren ohne daß einen ein Schild darauf hin weist. Drei Mal dürfen Sie raten wer danach brav mit fünfzig Sachen weiter durch die Landschaft tuckert … Exakt.
Die Straße wird kurviger und schlängelt sich durch die ersten Hügel. Bosa liegt am Fluß Temo, der sein Bett in die umgebenden Berge gegraben hat. Und die Strecke dorthin ist wunderschön. Ich komme die Berge hinunter und fahre durch die ersten Straßen auf die Brücke Ponte Vecchio zu, sehe die ersten bunten Altstadthäuser und bin beeindruckt. Ich habe mich in einem alten Stadthaus aus dem fünfzehnten Jahrhundert eingebucht und bin schon sehr gespannt darauf. Doch erst einmal muß ich den Torre finden. Leichter gesagt als getan.
So ein Torre ist ziemlich eng.
Denn direkt hinter dem Ponte Vecchio stehen eine Menge Polizisten und Absperrgitter. Die digitale Navigation sagt links herum und die Polizisten winken mich hektisch geradeaus. Direkt in die Altstadt. Der Flummi rumpelt über historisches Granitpflaster und ich lande auf der Hauptstraße Corso Vittorio Emanuele, die auf der einen Seite zugeparkt und auf der anderen Seite mit den Stühlen und Tischen der Straßencafés zugestellt ist. Bloß keinen umfahren, bloß keinen umfahren! Für die schönen alten Palazzi mit den prächtigen Fassaden und ihren eisernen Balkonen habe ich keinen Blick.
Nach der zweiten Runde durch die Altstadt in dem verzweifelten Bemühen, meine Unterkunft zu finden, gebe ich auf und fahre wieder auf die andere Seite des Temo. Stelle den Flummi dort vor einer Kirche auf den Parkplatz und atme erst mal durch. Dann gehen wir halt zu Fuß, der Koffer und ich. Flummi wird doch schon nix passieren.
Zu Fuß finde ich das Bed & Breakfast sehr schnell in einer nicht mal drei Meter breiten Gasse. Ich drücke die Klingel und es passiert nichts. Gut, dann rufe ich eben wieder an. Doch auch hier, keine Antwort. Noch mal klingeln? Plötzlich ruft vom Dachgarten des Nachbarhauses eine Frau etwas auf Italienisch und bedeutet mir, ich solle die Klingel drücken. Während ich Sturm klingle, brüllt die Frau dermaßen laut „PAOLO!“ daß ich vor Schreck beinahe über meinen Koffer falle.
Fünf Minuten später öffnet sich ein Türflügel und mein Gastgeber entschuldigt sich, er hätte unter der Dusche das Handy nicht gehört. Nimmt meinen Koffer und trägt ihn schon mal die Treppe hoch während ich noch vor dem geöffneten Türflügel stehe und mich frage, wie ich mich durch die kleine Öffnung quetschen soll. Am Besten seitwärts, da schrappt am wenigsten Haut am Türrahmen ab. Ich folge Paolo in den zweiten Stock zu meinem Zimmer durch ein sehr, sehr enges Treppenhaus. Da kriege ich doch meinen Koffer im Leben nicht wieder runter ohne damit die Treppe runter zu kugeln? Darüber muss ich mir zum Glück erst morgen den Kopf zerbrechen.
Paolo erklärt mir auf Englisch, wo ich was finde, gibt mir eine Karte der Altstadt und ganz viele Empfehlungen für Restaurants, Bäckereien, Bistros, Sehenswürdigkeiten. Wie lange ich bleiben würde. Eine Nacht, antworte ich. Paolo guckt mich entsetzt an. Das wäre doch viel zu wenig Zeit um mir alles anzugucken was Bosa zu bieten hätte! Das wäre doch schade, da müsse ich noch einmal wieder kommen. Gehört das Städtchen am Temo doch der Vereinigung I borghi più belli d´Italia (Die schönsten Orte Italiens) an. Und hat in der Tat eine ganze Menge zu bieten.
Bosa, ich hab die falschen Schuhe an!
Die Altstadt ist durchweg gepflastert. Und dieses Straßenpflaster besteht aus säuberlich abgerundeten, faustgroßen Kieseln, die eng an eng gesetzt sind. In der Mitte der Fahrbahn hat es auf den breiteren Straßen Granitquader, über die früher die Räder der Ochsenkarren rumpelten. Ich bin weder ein Ochse, noch ein Karren und ich habe für diese Art Untergrund definitiv die falschen Schuhe mit. Stoffschuhe mit dünnen Sohlen sind toll zum Autofahren, führen auf diesem Untergrund aber dazu, daß ich die Straße entlang wanke wie ein angeschossenes Schlachtschiff.
Dennoch laufe ich kreuz und quer durch die kleinen Gassen, in denen es angenehm kühl ist. Laufe Treppen hoch und finde Gassen, die so eng sind daß ich mit ausgestreckten Armen die Häuser berühren kann. Viele der Häuser sind liebevoll renoviert, doch immer wieder findet sich mittendrin eines, das zum Verkauf steht und meist sehr herunter gekommen ist.
Ich hab mich verloren in den kleinen Gassen, eigentlich wollte ich hoch zum Castello di Serravalle, das oberhalb der Altstadt auf dem Hügel thront. Auf halbem Wege setze ich mich auf eine Mauer in der Sonne und genieße den Ausblick über die Dächer Bosas. Meine Füße danken es mir.
Pocco, Pocco! – Essen wie bei Mamma.
Skeptisch schaue ich auf die geschlossene Türe. Ob die offen haben? Verhalten klopfe ich und eine kleine, runde Frau mit Schürze öffnet. „Scusi, parla inglese?“ frage ich und mit einem „Pocco! Pocco!“ winkt mich die kleine, runde Frau mit einer ausladenden Bewegung hinein. Ich stehe in einem Gewölbe, es ist angenehm kühl und darf mir einen Tisch aussuchen. Die kleine Trattoria war eine Empfehlung Paolos, falls ich „essen wolle wie bei einer echten italienischen Mamma“. Ob die jetzt nur wegen mir aufgemacht hat? Ich bestelle ein Glas Wasser, das kriege ich mit meinem nicht existenten Italienisch noch hin, und die Wirtin reicht mir die Karte.
Zum Glück zweisprachig. Denn „Pocco“, das habe ich mittlerweile gelernt, umfaßt von drei Brocken bis hin zu fließendem Englisch so ziemlich die ganze sprachliche Bandbreite. Mit Hilfe der Karte und vor allen Dingen der Übersetzungsfunktion einer bekannten Suchmaschine, die mir leider aufgrund mangelnden Empfangs kurz darauf den Dienst verweigert, bestelle ich eine typisch sardische Vorspeise, deren Namen ich vergessen habe, Gnocchi mit Tomaten und Brokkoli als ersten Gang sowie als zweiten Gang Rinderfilet mit Champignons in Rahm und Bratkartoffeln. Die Wirtin strahlt mich jedes Mal freundlich an, wenn sie die leeren Teller abräumt.
Da ich keinen Empfang mehr habe gibt sie mir kurzerhand das WLAN-Paßwort und so dolmetscht die Suchmaschine zwischen uns welchen Nachtisch ich denn haben möchte. Wie, auf all das gute Essen noch einen Nachtisch? So ein Semifreddo alla nocciola, etwas halbgefrorenes mit karamellisierten Haselnüssen. Danach möchte ich die kleine, runde Wirtin am liebsten einpacken und mit nehmen. Nachdem ich so fürstlich getafelt habe, befürchte ich ein wenig, ein sehr großes Loch in meine Reisekasse gefuttert zu haben, doch ich zahle für alles nicht einmal dreißig Euro … Ich verabschiede mich von der kleinen, runden Wirtin und als ich ihr den Satz „Vielen lieben Dank, es hat mir ganz hervorragend geschmeckt“, den mir die Suchmaschine übersetzt hat, vorlese, da strahlt sie als hätte sie gerade im Lotto gewonnen und sie drückt mich herzlich.
Den Tag lasse ich am Ufer des Temo ausklingen und laufe die Uferpromenade hoch. Ich bin glücklich, daß ich das hier wirklich tun darf. Als es dunkel wird kehre ich in meine Unterkunft zurück und so geht der dritte Tag dem Ende entgegen.
Sie haben es tatsächlich geschafft und all meine vielen Worte zur Etappe „Oristano – Bosa“ überlebt. Ich freue mich darauf, Sie in der nächsten Ausgabe wieder zu sehen wenn es von Bosa über eine der schönsten Küstenstrecken Sardiniens nach Alghero geht.
Haben Sie eine gute Zeit bis dahin.
Ein Gedanke zu „Roadtrip Sardinien: Von Oristano nach Bosa.“