Die unterschiedlichsten Welten, die zwischen zwei Buchdeckel passen, begleiten mich schon seit meiner Kindheit. Ich konnte sehr schnell selber lesen und war dann nicht mehr auf einen Erwachsenen angewiesen, der mir vorlas. Oder Kassetten, die nach dem fünften Mal immer anfingen zu leiern. Wenn meine Eltern mich bestrafen wollten gab das kein Fernsehverbot sondern sie nahmen mir meine Bücher weg. Woran sie allerdings nicht dachten, war mein Büchereiausweis. Den haben sie nie einkassiert. Der Besuch in der Stadtbücherei war für mich mindestens einmal die Woche ein Pflichttermin und ich habe das geliebt, in all den Regalen nach meinem nächsten Lesestoff zu suchen. Dort habe ich auch meinen Ersten gefunden.
Wie sagt man so schön? Den Ersten vergäße man nie. Für gewöhnlich meint man damit den ersten Freund, den ersten Kuß oder gar den ersten Sex. Mit Sicherheit nicht den ersten Roman, der einen in eine vollkommen schräge Welt entführte. Ich hab ihn nie vergessen, den ersten Pratchett Roman, den ich je gelesen habe. „Einfach Göttlich“ (im Original „Small Gods“), der dreizehnte Band in einer langen Reihe von Scheibenwelt-Romanen. Und ich liebe die Charaktere noch heute, egal ob Esme Wetterwachs oder Ridcully, Karotte Eisengießersohn oder Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper, Tod mit seinem Pferd Binky und dem Diener Albert … und wie sie alle heißen.
Von welcher Welt redest du hier?
Von der Scheibenwelt. Eine flache, eben scheibenförmige, Welt, die auf den Rücken von vier Elefanten ruht. Diese wiederum stehen auf dem Rücken von Groß-A’Tuin, der Sternen-Schildkröte. Hey, ich hab mir das so nicht ausgedacht, das war Mr. Terry Pratchett. Dort auf der Scheibenwelt sind die meisten Romane angesiedelt, die man auf den ersten Blick für Fantasy-Geschichten halten könnte. Wenn nicht in jeder Geschichte bestimmte Themen oder Motive sehr gekonnt auf die Schippe genommen würden. Egal ob Geschichte, Vorurteile, Klassiker aus Literatur oder Filmgeschichte, Musik- oder Filmindustrie, Religion und Philosophie – nichts war vor der spitzen Feder von Terry Pratchett sicher.
Der Roman „Einfach Göttlich“ fiel mir in der Bücherei in die Hände und mit genommen habe ich ihn eigentlich nur, weil ich das Bild auf dem Einband lustig fand und mir der Klappentext gefiel. Abgesehen davon brauchte ich was zu Lesen für die Konfirmandenfahrt, vor der ich mich nicht hatte drücken können. Japp, ich bin tatsächlich zur Konfirmation gegangen, meine Mutter hatte sich das gewünscht…
Was liest du denn da?
Fragte die, zur Unterstützung der Aufsichtspersonen mit reisende Pastorin, deren Namen ich mir nicht merken konnte, und setzte sich neben mich. Selbst ungnädiges Gucken half mir da nicht weiter. Geht den Leuten eigentlich nie ein Kronleuchter auf, daß diese Frage total nervig ist wenn man gerade mitten in einer spannenden Geschichte steckt? Wenn ich mich würde unterhalten wollen dann hätte ich schließlich kein Buch vor dem Gesicht. Galt damals schon, genauso wie es heute noch gilt: geh wech und quatsch mich nicht an wenn ich lese!
Weil die Pastorin halt nicht weg gehen wollte, sondern stumpf neben mir sitzen blieb und meinen genervt-aggressiven Blick mit einer freundlich-auffordernden Geste ignorierte, gab ich eine Antwort. Schließlich geht es in „Einfach Göttlich“ um Religion, Glauben, Inquisition, Philosophie, totalitäre Weltbilder und Kritik an der Institution Kirche. Und das ganze eingepackt in eine dicke Portion Humor. Offenbar hatte die Pastorin nicht damit gerechnet, von einer vierzehn Jahre alten Göre eine so pointierte Inhaltsangabe um die Ohren gehauen zu bekommen. Ob ich sicher wäre, daß das Buch wirklich das Richtige für jemanden in meinem Alter wäre und ob ich dächte, es sei der passende Lesestoff für eine Konfirmandenfahrt wurde ich in sehr spitzem Ton gefragt.
Sagen wir mal so, die Gute hat mich für den Rest des Wochenendes in Ruhe gelassen nachdem ich ihre Frage beantwortet hatte. Natürlich habe ich mit vierzehn noch nicht jede Anspielung, die Mr. Pratchett in dem Roman untergebracht hat, verstanden weil mir einfach in den Punkten Geschichte und Philosophie viele Dinge in meinem Wissenschatz fehlten. Da ich allerdings schon immer Bücher gelesen habe, deren Altersempfehlung weit über meinem Alter lagen und mich schon früh für Geschichte jeglicher Art interessiert habe, fand ich diese Frage schon ein wenig … herablassend. Den Humor, den Terry Pratchett in den Scheibenwelt-Romanen auf keiner Seite vermissen läßt, den versteht man auch ohne alle Anspielungen korrekt einordnen zu können.
Ich liebe diesen trockenen, absurden Humor.
Die Sprache Pratchetts zeichnet sich durch einen ganz eigenen Humor aus. Der Übersetzer hat wirklich viel von diesem feinen und sehr gezielten Humor in die deutschen Ausgaben übertragen, soweit es möglich ist. Etliches läßt sich allerdings einfach nicht übersetzen. Viele der Witze, die sich durch mehrere Bände ziehen, gehen so verloren. Die Scheibenwelt-Romane gehören zu den Büchern, die ich lange Zeit nur auf deutsch gelesen habe obwohl ich es für gewöhnlich vorziehe, englischsprachige Autoren im Original zu lesen. Ich hatte das Anfang zwanzig mal versucht und bin krachend damit gescheitert, die Hälfte hab ich schlicht nicht verstanden.
So wie es aussieht mußte ich wohl das Verständnis für sehr feine Anspielungen und Metaphern in der englischen Sprache erst erwerben. Vor ein paar Jahren gab ich den Scheibenwelt-Romanen noch eine Chance und bestellte mir „The Colour of Magic“ und „The Light Fantastic“. Und, siehe da, mittlerweile verstehe ich, was ich da lese und kann das Spiel mit der Sprache sowie den typisch britischen Humor im englischen Original wirklich genießen.
Und, was hat das jetzt mit Challenge zu tun?
Nix. Aber heutzutage muß immer alles gleich eine „Challenge“ sein. Hat man eigentlich noch mal was von dem schönen Wort Herausforderung gehört? Macht vielleicht gerade eine Detox Challenge, man weiß es nicht… Hier in diesem Hause detoxt keiner, dafür stehen jetzt alle einundvierzig Bände der Scheibenwelt-Romane auf englisch im Regal und ich habe mir vorgenommen, die brav der Reihenfolge nach zu lesen. Mittlerweile bin ich bei Band siebzehn, „Interesting Times“, angelangt. Da kommen also noch eine Menge Geschichten auf mich zu.
Man soll sich ja Ziele setzen. Ich werde die mit sehr großer Sicherheit nicht am Stück hintereinander weg lesen, so wahnsinnig bin ich nicht. Aber immer mal wieder geht so ein Roman zwischendrin ganz gut. Lustige Geschichten zu lesen, die mit Biß, feinem Humor und viel darin versteckter Kritik an der Welt daher kommen und in denen immer ein paar Punkte zum Nachdenken stecken, kann nicht verkehrt sein.
Ja, ja, ich weiß … wenn alle mehr Terry Pratchett lesen würden, wäre die Welt auch kein besserer Ort. Aber wenigstens würden wir viel mehr lachen.
Also, gehet hin und leset Pratchett, Ihr Banausen!