Abgesang auf einen treuen Gefährten.

Er hat mich verlassen. Gestern macht es leise „Knack“, sein Glas sprang und damit trennten sich unsere Wege. Nicht ganz unangekündigt. Schon länger war er ein Verdächtiger im eigenen Gehäuse: ominöses Knistern beim Abkühlen. Sein Deckel, der sich mit vielen guten Worten noch schließen ließ. Sein Schalter, der so viel Fingerspitzengefühl verlangte wie das Knacken eines Tresors. Vom Kalkfänger ganz zu schweigen, der hing in traurigen Resten leblos am Deckel.

Doch trotz all dieser Gebrechen funktionierte er. Tadellos. Und mehr habe ich von ihm auch nie verlangt in den letzten zwölf Jahren, in denen er mich schon morgens mit freundlichem blauen Licht empfing während das heiße Wasser so schön beleuchtet sprudelte. Gekauft für 19,90 in großen Haushalts-Discounter mit dem K, weil ich damals dringend einen neuen brauchte. Denn was anderen die Kaffeemaschine ist, das ist mir der Wasserkocher. Ohne heißes Wasser keinen Tee. Und ohne Tee keine funktionstüchtige Frau Mirtana.

Immer wieder habe ich die letzten Monate nach Ersatz geschaut, aber vorerst doch keinen Nachfolger gekauft. Denn der Alte tat ja noch. Genau. Tat. Bis gestern zum Frühstück. Denn davor fasste ich mir ein Herz und bestellte in diesem Internet doch endlich einen neuen Wasserkocher. Was ich Cookie lautstark quer durch die Wohnung mitteilte und ihm den dazugehörigen Werbetext vorlesen musste:

„Der Wasserkocher ist aus edlem Glas mit hochwertigen Metallakzenten gefertigt und verfügt über eine bestechende Umgebungsbeleuchtung. Er verbindet Eleganz mit Alltagstauglichkeit. Das transparente Gehäuse mit der Messskala – einschließlich der 1-Tassen-Anzeige – erleichtert eine präzise Befüllen und spart Zeit. Mit einem großzügigen Fassungsvermögen, das sich ideal für Famlie und Freunde eignet, wurde dieser elektrische Wasserkocher perfekt mit einer Reihe zusätzlicher Funktionen ausgestattet, die Wasserkochen leicht machen.“

Alter Falter, was rauchen die in den Marketing-Abteilungen eigentlich? „Edles Glas mit Metallakzenten“? Man könnte meinen, ich hätte einen Kronleuchter gekauft und die „bestechende Umgebungsbeleuchtung“ macht mich schon neugierig: will das Ding jetzt Wasser kochen oder in meiner Küche einen Edelpuff für Justizbeamte eröffnen? Und diese grammatikalische Verrenkung „eine präzise Befüllen“? Wie schwer kann es sein, Wasser in einen Behälter zu kippen? Bisher habe ich beim Teekochen so gut wie nie beim Befüllen des Wasserkochers meine Küche geflutet. Natürlich ist er „ideal für Familie und Freunde“, die stehen ja bekanntlich ständig vor meiner Türe, weil sie ganz dringend kochendes Wasser benötigen.

Unter den schwammigen Zusatzfunktionen kann ich mir auch nix vorstellen. Läuft das Ding alleine zum Wasserhahn, um sich zu befüllen? Putzt es mir die Küche, während es mein Teewasser erhitzt? Trommelt es die Neunte von Beethoven wenn es während des Kochvorgangs bestechend seine Umgebung erleuchtet? Was genau tut es, um mir das Wasserkochen leicht zu machen? Da bin ich wirklich mal gespannt, wie man das Prinzip „kaltes Wasser rein, Knopf an, heißes Wasser raus“ noch weiter vereinfachen kann.

Im nächsten Leben werde ich auch Marketing. Da scheint es gute Drogen zu geben, wie mir scheint. Wasserkochen leicht machen. Mein lieber Herr Gesangsverein, so einen Stuß würde ich nicht mal bedröhnt zusammen geschustert bekommen.

Doch zurück zu meinem Helden der Küche, dem schnöden Wasserkocher ohne Akzente und Zusatzfunktionen. Der muß Cookie und mich belauscht haben, denn als ich nach getätigter Bestellung Teewasser fürs Frühstück aufsetzen wollte, da trennten sich unsere Wege abrupt. Der Wasserkocher beging Selbstmord. Mit leisem, aber sehr endgültigem Knistern sprang beim Einschalten das Glas. Und ich guckte ziemlich doof ob dieses, einer Operndiva würdigen, Abganges. Sein letzter Triumph. Bevor ich ihn ausmustern konnte, dachte er wohl „Der treulosen Tomate zeige ich es jetzt aber ein letztes Mal so richtig!“

Wäre schön gewesen, hätte er noch ein paar Tage durchgehalten. Wenigstens, bis Verstärkung eingetroffen wäre. Immerhin tut der Herd noch und Töpfe, in die ich bequem Wasser einfüllen kann, besitze ich ebenfalls genug. Gut, die leuchten nicht blau und sind beim Tee aufgießen etwas unpraktisch, aber für ein paar Tage wird das wohl gehen.

Ruhe in Frieden, du mein sprudelnder Gefährte. Dein mystisches blaues Leuchten am Morgen wird mir fehlen. Dein billiger Preis war der Anfang, dein unerwartet langjähriger und treuer Dienst dein Vermächtnis. Mögest du auf dem großen Recyclinghof im Himmel der Elektrogeräte einen Platz finden – neben knurrigen Toastern und stolzen Staubsaugern.

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