#Journal 16. November 25

Und dann liegt da dicker Nebel über dem Land, der alles verschluckt, was sich weiter als zwanzig, dreißig Meter vor dem Beschleunigungsmonster befindet. November, wie aus dem Klischee. Vor mir taucht urplötzlich ein silbernes Auto aus den dicken Nebelschwaden auf, ohne Licht, das scheinbar auf der rechten Spur zu parken scheint. Wenn man schon die Mindestgeschwindigkeit auf der Autobahn massiv unterschreitet, dann mach doch bitte Licht an, damit Menschen wie ich das Hindernis nicht erst wahr nehmen, wenn ich schon fast im Kofferraum sitze. Abgesehen von dem Schreckmoment hüpft der melancholische Teil meiner Seele enthusiastisch auf und ab. Weil: Nebel! Novembergrau! So schön!

Ich mag Nebel. Er zeichnet alles so schön weich und lenkt den Blick auf das, was sich vor mir befindet, während er die weiter entfernten Dinge hinter einem Schleier verbirgt. Diese mystische Anmutung eines Nebelmorgens genießend lenke ich das Beschleunigungsmonster Richtung Wuppertal. Es ist der dritte Sonntag im Monat und somit Zeit für den Moped-Stammtisch. Nette Menschen treffen, lecker frühstücken und hinterher die Küche nicht aufräumen müssen.

Es liegt immer noch eine dicke Nebeldecke über dem Land, als ich den Heimweg antrete. Bis nach Essen fahre ich durch eine wattigweiche Welt, zu Hause ist es trüb und grau. Perfektes Wetter, um es sich drinnen gemütlich zu machen. Bei Kerzenlicht genieße ich eine gute Tasse Tee und erledige nebenbei das ein oder andere, was sich im Laufe der Woche so angesammelt hat.

Der ehemalige Blognachbar hat mich vor seinem Auszug aus Bloggersdorf auf eine kleine Kerzenmanufaktur aufmerksam gemacht, indem er mir einfach eine Duftkerze namens „Fuchsfurz“ schenkte. Worüber ich mich nicht nur sehr gefreut habe, ich hab auch jedes Mal grinsen müssen, wenn ich die angezündet habe. Der wohlriechende Fuchsfurz kommt aus einer kleinen Manufaktur in Quedlinburg namens Voswald, die sich auf nachhaltige Duftkerzen spezialisiert haben. Von dort habe ich noch „Leseratte“ und „Biberbutze“. Leider neigt sich letztgenannte allmählich dem Ende zu, und weil ich den Geruch wirklich unglaublich gerne mag, wollte ich mir eine weitere Biberbutze nachbestellen und stellte fest: ist entweder ausverkauft oder nicht mehr im Sortiment, auf deren Website ist die Kerze nicht mehr gelistet.

Da finde ich eine Duftkerze, die angenehm schokoladigen Wohlgeruch verbreitet – und dann gibt es die nicht mehr? Nach einigem Suchen doch einen Wiederverkäufer gefunden, der davon noch welche auf Lager hatte. Und so habe ich statt einer Kerze halt vier gekauft. Und weil ich schon mal dabei war, der November draußen immer noch Trübsal blies, suchte ich gleich weiter nach nachhaltigen Kerzen ohne Duft; in meiner Kerzenschublade herrscht ziemliche Leere. Gar nicht so einfach übrigens, dieses Ding mit der Nachhaltigkeit im Bereich Kerzen. Allerdings bin ich fündig geworden und, wenn die Lieferungen eintreffen, auch wieder gut gerüstet für die nächsten Monate, was Kerzenlicht angeht.

Generell kein so einfaches Ding, dieses Thema Nachhaltigkeit. Möchte ich Dinge kaufen, die fair produziert werden, lange haltbar sind, die man reparieren lassen kann und deren Herstellung möglichst wenig negative Folgen für Umwelt und Mensch hat, benötigt das doch einiges an Recherche. Da draußen ist mittlerweile so viel Greenwashing unterwegs, das macht es schwer, die wirklich Guten zu erkennen.

Ich bin mir durchaus dessen bewußt, daß es ein Privileg ist, die Entscheidung zu haben, was ich wo kaufe. Kenn halt durchaus auch noch andere Zeiten, wo der aufgedruckte Preis das ausschlaggebende Kriterium für eine Kaufentscheidung war und nicht die Frage der Nachhaltigkeit. In meiner Welt würde ich es begrüßen, wenn jeder Mensch diese Wahl hätte und nicht jedes siebte Kind in Deutschland armutsgefährdet wäre. Eine Zahl, die mich wirklich traurig macht. Und die ich als unglaublich peinlich für ein so reiches Land wie Deutschland empfinde.

Aktuell versuche ich, möglichst wenig Nachrichten zu konsumieren. Ich kann das einfach nicht mehr hören, nicht mehr ertragen. Entweder wird mir um die Ohren gedroschen, was die Orange mit Toupet wieder von sich gegeben oder veranstaltet hat, unser aller Bundeskanzler von einem Fettnäpfchen ins nächste zu stiefeln scheint, wir das Bahnticket, weil wegen zu teuer, sabotieren, während wir gleichzeitig über Subvention die bei der Bahn eingesparten Milliarden dem Flugverkehr in den Rachen werfen, Klimaschutz nicht geht, weil wegen Bodennebel oder – was ja immer geht – es wird fleißig nach unten auf den Armen und Schwachen herumgetrampelt. Und wenn ich mir wirklich die Laune versauen will, dann bin ich so verrückt, Kommentare unter Artikeln und Videos zu lesen. Mein lieber Herr Gesangsverein, das ist doch nicht mehr mein Internet. Was so mancher Zeitgenosse ohne jegliche Scham in die Kommentarspalten absondert, das läßt mich am Zustand der Menschheit verzweifeln.

Da wünsche ich mir gnädigen, dichten Nebel, der sich über Kommentare legt, um all den Haß und die Hetze hinter dicken Schwaden verschwinden zu lassen. Natürlich ist das keine Lösung, der Dreck verschwindet nicht wirklich. Aber ich sehe ihn dann halt nicht, und das wäre für meinen Blutdruck bestimmt nicht die schlechteste Lösung. Für diesen Sonntag gönne ich mir zum Schutz meiner Blutgefäße ein nettes Hörbuch statt Nachrichten, während ich zu Hause vor mich hin prutsche.

Und so verbringe ich den restlichen Tag damit, Geld für Kerzen auf den Kopf zu hauen und mein Smartphone aufzuräumen. Die über zweitausend Bilder, die sich dort angesammelt haben, reduziere ich durch gnadenloses Löschen auf gut siebenhundert, die nebenbei noch ordentlich in Ordner sortiert und anschließend auf dem PC gesichert werden. Ich bin Ehefrau eines IT-Menschen, bin sozusagen mit „Kein Backup? Kein Mitleid!“ verheiratet. Das färbt im Laufe der Jahrzehnte ab. So ganz nebenbei bin ich altmodisch, ich lade mit Sicherheit keine privaten Bilder oder Dateien irgendwo in die Cloud. Es ist mir ziemlich egal, wie bequem das sein mag, ich traue den meisten Anbietern nicht weiter, als ich sie werfen kann. Wofür gibt es externe Festplatten und das gesicherte NAS?

Nebenbei gewinne ich beim Bilderaufräumen die Erkenntnis, daß ich dazu neige, Parkhäuser zu fotografieren. Genauer gesagt, wo ich das Beschleunigungsmonster abgestellt habe. In der Hoffnung, es später leichter wieder zu finden und nicht ewig durch geparkte Autos zu irren, die nicht meines sind. Funktioniert meistens nicht so, wie ich das beim Erstellen des Fotos gedacht habe. Weil ich bis zur Rückkehr zu meinem Fahrzeug lange vergessen habe, daß dieses Bild existiert und trotzdem ratlos suchend durchs Parkhaus irre.

Am Ende dieses nebligen Sonntags habe ich immerhin eine aufgeräumte und gesicherte Smartphone-Galerie und die Aussicht auf genug Kerzenlicht, um damit das nächste Jahr vernebelte Tage zu erhellen.

Gibt Schlimmeres.

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