Ich habe den Sonntag verloren. Plötzlich war er weg, einfach so. Da dachte ich, am Sonntagabend einen langen Text über Nebel und Kerzen verfaßt zu haben, und dann taucht der einfach nicht auf dem Blog auf? Nun. Das passiert, wenn man müde unbedingt noch den Post fertig machen möchte und im Halbschlaf zwar den Entwurf drölfzigmal speichert, aber vergißt, auf den wesentlich wichtigeren Button mit der Aufschrift „Veröffentlichen“ zu drücken. Dann versteckt sich der Text schüchtern im Ordner „Entwürfe“, statt stolz über die Startseite zu spazieren.
Hat ja nur zwei Tage gedauert, bis mir das tatsächlich aufgefallen ist. Gilt die Ausrede, daß ich gestern ziemlich beschäftigt war? Denn was ich am Sonntag in meinem Gerede über Nebel und Kerzenlicht gar nicht erwähnt habe: Der 16.11. war auch der Tag, an dem sich auf den Tag genau der Beginn meiner aktuellen Beschäftigung zum zehnten Mal jährte. Seit zehn Jahren bin ich bei meinem aktuellen Arbeitgeber angestellt und verdiene dort meine Brötchen. Und weil der 16. in diesem Jahr auf einen Sonntag fiel, gab es die Waffeln für die Kollegen am Montag.
Weil ich das Jubiläum nicht an die große Glocke hängen wollte, warf ich morgens bei Dienstantritt eine Nachricht in den allgemeinen Teams-Kanal, daß sich unsere Teeküche am Nachmittag in eine Waffelbude verwandeln würde, wo sich jeder ein knuspriges Stück Teigware mit Eis, heißen Himbeeren und Sahne abholen könne. Die Ankündigung sorgte für die antizipierte Begeisterung, denn Waffeln gehen – ebenso wie Kuchen und Mettbrötchen – bei uns immer. Erst recht, wenn die Sekretärin die Waffeln macht.
Das nächste Mal brauche ich echt ein zweites Waffeleisen, um die hungrigen Nerds abzufüttern. Ich war so damit beschäftigt, lecker aussehende Waffeln auf die Teller zu zaubern, daß ich nicht einmal dazu gekommen bin, eines der liebevoll angerichteten Desserts fotografisch für die Nachwelt zu verewigen. Sah nicht nur gut aus, der Rückmeldung nach waren sie auch außerordentlich lecker.
Zehn Jahre. Kaum zu glauben. Gefühlt war das doch erst gestern, daß ich angefangen habe, dort zu arbeiten. Und wenn ich nach so langer Zeit – immerhin ist das der erste Arbeitgeber, bei dem ich es länger als ein paar Jahre ausgehalten habe – immer noch gerne arbeiten gehe, dann sagt das eine Menge darüber aus, an welchem Ort ich arbeite.
Zu sagen, einen Job wie diesen zu finden, gleicht einem Sechser im Lotto, wäre vielleicht einen Tick übertrieben. Ein sehr, sehr solider Fünfer ist es durchaus. Ich arbeite in einer Umgebung und mit Menschen, die man durchaus liebevoll als Nerds bezeichnen kann. Seit meinem ersten Arbeitstag dort war ich mir einer Tatsache immer sehr sicher: Ich passe dort gut hinein. Dort arbeiten Menschen, die ähnliche Bücher lesen, Serien gucken, Spiele zocken und Affinität zu Technik haben. Wo ich nicht die merkwürdige Außenseiterin bin, weil ich nie weiß, wovon die Rede ist, wenn alle sich darüber aufregen, welches Sternchen jetzt wieder aus einer mir unbekannten Trash-TV-Show geflogen ist.
In den letzten zehn Jahren habe ich eine Menge lustiger und skurriler Dinge mit den Kollegen erlebt. Oder sagen wir so: Sie haben mir eine Menge witziger Anekdoten geschenkt, mit denen ich noch jeden zum Lachen habe bringen können. Ich habe mir so manches Mal die Haare gerauft ob der Eigenheiten meiner Kollegen und dabei gelernt, wie man mit Menschen umgeht, die ein wenig anders ticken. Von ihnen habe ich Empfehlungen für Bücher und Serien bekommen, auf die ich selber nie gekommen wäre, und festgestellt, wie gut ein berufliches Umfeld tut, in dem man mit Menschen zu tun hat, die ähnliche Interessen haben. Und popkulturellen Humor verstehen.
Ich arbeite immer noch gerne dort. Natürlich gibt es Tage, an denen ich genervt bin oder mir Dinge auf die Nerven gehen, mich jemand gegen den Strich bürstet oder ich alle auf den Mond schießen möchte. Wo gibt es das nicht? Doch unter dem Strich gehe ich meinem Broterwerb dort gerne nach, ich schätze die familiäre, humorvolle Atmosphäre und vor allen Dingen arbeite ich gerne für meinen Chef. Denn einen wie ihn muß man in der heutigen Arbeitswelt mit der Lupe suchen. Nein, natürlich ist er nicht perfekt. Das muß er auch nicht sein. Dafür ist er immer pro Arbeitnehmer, egal, worum es geht. Für ihn sind Mitarbeiter nicht das Mittel zum Zweck, sondern das Herzstück seines kleinen Unternehmens. Und das merkt man. Mir ist es nie so leicht gefallen, loyal zu einem Unternehmen und einer Führungskraft zu stehen wie bei meinem jetzigen Arbeitgeber.
Wir sind anders als andere Unternehmen in dieser Branche. Und das ist gut so. Ich bin dort gut aufgehoben und – viel wichtiger als ein Sechser im Lotto – ich werde dort wertgeschätzt für das, was ich tue und was ich kann. Für mich ist das etwas sehr Wertvolles, gerade weil ich in meinem weiteren Umfeld sehe, daß das heute so vielen Menschen zu fehlen scheint. Solange ich gerne dort arbeite, werden die ihre Sekretärin 2.0 auch nicht los. Zur Not kann ich die Kollegen immer noch mit frischen Waffeln bestechen.
Ich habe einfach unglaubliches Glück gehabt, dort zu landen. Auf die nächsten zehn Jahre. Und nein, niemand muß so lange warten, bis es wieder mal Waffeln gibt. Wird mit Sicherheit noch den ein oder anderen Grund geben, für die Sekretärin 2.0 das Waffeleisen hervorzukramen.
