Dear Diary #4: Wie grün sind deine Blätter.

Das Fest der Liebe naht und ich rätsle mich mit meinem Krimi-Adventskalender jeden Abend fröhlich näher an den Tag, an dem wir Geschenke unter dem Tannenbaum austauschen. Wer mich schon länger auf diesem Blog begleitet, der wird das ein oder andere Mal offen oder zwischen den Zeilen folgende Tatsache bemerkt haben: ich kann Weihnachten und dem darum herum gestrickten Brimborium wenig abgewinnen.

Würde Weihnachten wegen Bodennebel ausfallen, mir täte nichts fehlen. Im Gegenteil, dieser ganze Wahnsinn um diese drei Tage, an denen wir bitte besinnlich zu sein haben, der dürfte gerne der Vergangenheit angehören. Weihnachtsmärkte finde ich gruselig, der Geruch von Glühwein bereitet mir Übelkeit und Einkaufen in dieser Zeit macht mir alles andere als Spaß. Spätestens, wenn der Typ im Radio zum xten Male davon trällert, wie traumatisiert er doch sei, daß die Olle, der er sein Herz schenkte, es am nächsten Tag verschmähte, möchte ich den nur noch mit den Worten anbrüllen „Boah Alter, werd erwachsen und komm halt drüber weg, daß sie dich nicht wollte!“

Bei mir gibt es auch keinen Weihnachtsbaum. Selbst, wenn ich den Platz hätte, irgendwo einen aufzustellen. Bin ich der einzige Mensch, der es ziemlich ironisch findet, daß wir an dem Fest zur Geburt Christi einen Baum in unsere Wohnung holen, der dann fröhlich mit Lametta und Kugeln behängt vor sich hin stirbt? Schon interessant, was aus einem ursprünglich nicht mal christlichen Brauch im Laufe der letzten Jahrhunderte geworden ist.

Meine tiefe Abneigung gegen die immergrüne Tanne in der guten Stube, die hege ich schon seit meiner Kindheit. Bei uns gab es ein dickes Buch mit Weihnachtsgeschichten und Märchen, aus dem mein Vater uns Kinder in der Adventszeit vorlas. Und das kann mein Vater echt gut, wenn er Geschichten vorlas, dann hat er mich jedes Mal mitgenommen. Ich kann mich nicht mehr den Titel dieses Buches erinnern. Oder wie es aussah. Nie vergessen hingegen habe ich das Märchen „Der Tannenbaum“ von Hans Christian Andersen, welches darin stand.

Wer das Märchen nicht kennt, hier eine kurze Zusammenfassung: Es wächst ein junger Baum im Wald und träumt davon, groß und wichtig zu sein. Er beneidet die Vögel und Schiffe um ihre Freiheit und ist ungeduldig, seine Bestimmung zu finden. Als er schließlich als Weihnachtsbaum geschmückt in einem prächtigen Haus steht, glaubt er, sein Ziel erreicht zu haben. Doch die Freude ist nur kurz: Nach dem Fest wird er achtlos auf den Dachboden gestellt und später als Feuerholz verbrannt.

Als Erwachsene verstehe ich die tiefere Botschaft hinter dieser Geschichte. Als Kind hingegen war mir die Botschaft des Märchens recht egal. Ich fand ich es so tieftraurig, wie aus dem kleinen Bäumchen im Wald ganz am Ende nur ungeliebtes Brennholz wurde. Als mein Vater mit der Geschichte endete und das Buch zuklappte, da tat mir mein Kinderherz weh vor lauter Mitgefühl mit unserem Tannenbaum, der mitten im Wohnzimmer stand. Und seitdem mag ich diesen Brauch nicht mehr.

Paßt das überhaupt noch in unsere Zeit? Ich glaube, die wenigsten Menschen scheren sich heute um die Ursprünge und Symbolik dieser Tradition. Wenn sie die überhaupt kennen. So ein Baum gehört halt mit zu Weihnachten. So wie Last Christmas, Glühwein, Konsumterror und Plätzchen. Wer mag sich schon groß Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen es auf Tier- und Umwelt hat, daß für die grüne Pracht in der deutschen Wohnstube jedes Jahr gut 30 Millionen Bäume abgeholzt werden.

Eben. Die Nordmanntanne, des Deutschen bevorzugte Wahl in Sachen Weihnachtsbaum, ist bei uns überhaupt nicht heimisch. Die kommt aus dem Kaukasus, an die Region ist sie angepaßt. Hier hingegen werden die Bäume unter massivem Einsatz von Pestiziden, Insektiziden, Fungiziden und Dünger in Monokulturen gezogen, deren Auswirkungen auf Artenvielfalt alles andere als positiv sind. So eine Giftschleuder im heimischen Wohnzimmer? Nee, danke. Lass mal. Die Bäume werden teilweise über lange Strecken durchs Land gekarrt und bis zum Verkauf in Kühlhäusern gelagert. Damit sie nicht direkt nach dem Aufstellen ihre Nadeln überall verteilen. Ökologisch geht in meinen Augen wirklich anders. Eine Nordmanntanne benötigt acht bis zwölf Jahre um eine Höhe von zwei Metern zu erreichen. Um dann für ein paar Tage oder Wochen Weihnachtsgefühl zu verbreiten bevor der vertrocknete Rest in den Müll wandert.

Aber, das ist doch Tradition und gehört dazu. Mag sein. Das Gute daran, in einem demokratischen Land zu leben? Ich kann mich entscheiden. Für oder gegen Traditionen. Und im Falle Tannenbaum in der guten Stube fällt meine Entscheidung dagegen aus. Zumal mir die Alternativen auch nicht zusagen. Plastik finde ich häßlich und kommt, wie das meiste Zeugs, mittlerweile überwiegend aus China. Da hält man das mit den Giftstoffen bekanntermaßen auch nicht so genau. Baum mit Wurzelballen im Topf? Halte ich einerseits für Augenwischerei und andererseits wüßte ich nicht, wo ich den nach den Feiertagen überhaupt hinpflanzen soll.

Nö, gibt einfach gar keinen Weihnachtsbaum in Mupfelheim. Erspart mir alle Jahre wieder den Streß, so ein Ding besorgen, in die Bude schleppen, aufstellen, mit Kram behängen, mich tagelang über die herumfliegenden Nadeln ärgern und den Überrest am Ende dann entsorgen zu müssen. Mein Kinderherz freut sich, weil hier zum Fest der Liebe kein Tannenbäumchen traurig nadelnd vor sich hinstirbt.

Und über Glühwein ranten reden wir dann ein anderes Mal.

So long, dear Diary.

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