„Ihre Sendung wurde an einen Hausbewohner übergeben.“ Interessant – in unserem Büro wohnen Menschen? Und warum ist mir das noch nie aufgefallen?
Bei der Sendung handelt es sich um meinen bestellten Rolltop-Rucksack von Airpaq, den ich am Sonntag bestellt habe und der natürlich an dem Tag geliefert wurde, an dem ich im Home-Office arbeite. Weil ich unglaublich neugierig bin, habe ich den gestern nach dem Abendessen noch im Büro abgeholt. Mit dem Auto. Ja, ich bin mir der Ironie bewußt, daß ich mit dem Auto losfahre, um den Rucksack abzuholen, den ich mir angeschafft habe, damit ich mein Arbeitsnotebook sicher transportieren kann, wenn ich mit dem Rad ins Büro fahre.
Das Ding hat mich schon beim Auspacken begeistert. Von der Sekunde an, in der ich es aus dem Karton befreit habe. Sieht toll aus, faßt sich angenehm an, ist hochwertig verarbeitet mit cleverem Design. Mit Vorfreude darauf, den direkt zu testen, diskutiere ich am heutigen Morgen auch nicht mit mir selber, ob nicht doch vielleicht das Auto die bessere Wahl wäre, um den Arbeitsweg zurückzulegen. Warm angezogen, schnalle ich mir das gute Stück auf den Rücken, fahre mit dem Rad Richtung Buer und bin mir nach Ankunft im Büro sehr sicher, daß das zwischen mir und dem Airpaq eine sehr lang anhaltende Liebe werden wird.

Sonst nur unspektakuläres Arbeiten am Vormittag. Freitags ist das Büro so gut wie verwaist, und die daraus resultierende Ruhe mag ich – sie macht mir die Konzentration leichter. Bis der Hausmeisterservice mit dem Laubbläser über den Parkplatz tobt. Irgendwas ist ja immer …
Mittags sattle ich Schusters Rappen und laufe eine Runde durch den nahegelegenen Park. Der November scheint eine Identitätskrise zu haben und kommt als goldener Oktober daher. Das schöne, weiche Licht und die leuchtenden Herbstfarben zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Damit bin ich wohl nicht die Einzige. Die Hundebesitzer, die ihre Lieblinge Gassi führen, grüßen freundlich und bemerken: „So schönes Wetter heute!“ in meine Richtung.
Ich habe meine alte Spiegelreflex mit dem 50er mitgenommen und versuche, den golden verkleideten November auf digitales Zelluloid zu bannen. Laub raschelt unter den Schuhen, bunte Blätter segeln langsam zu Boden, und das Licht leuchtet golden. Ich genieße meinen viel zu kurzen Spaziergang mit allen Sinnen.
Denn leider dauert eine Mittagspause nicht den ganzen Nachmittag, und ich habe heute noch genug Kleinkram auf dem Schreibtisch liegen, den ich erledigen muß. Wie jeden Freitag beende ich die Woche damit, das im Gebäude verteilte Grünzeug zu gießen. In über der Hälfte der Büros stehen Zimmerpflanzen, die zumindest ein Mindestmaß an Zuneigung von mir bekommen. Ich mag den Moment, wenn ich freitags die Türe hinter mir schließe und mit diesem Akt das Wochenende einläute.

Die Sonne ist schon untergegangen, lediglich einen orange leuchtenden Streifen am Horizont hat sie wie einen letzten Gruß hinterlassen. Warm ist das nicht gerade – so bei zehn Grad im Rock und Strumpfhose durch die Gegend zu radeln. Heute gibt es Hühnereintopf mit Nudeln, und während meine Knie langsam empfindlich kalt werden, durchzieht mich die Vorfreude auf einen Teller dampfenden, wohlschmeckenden Eintopfs. Cookie und ich sind ausgewiesene Suppenkasper. Wenn es nach dem besten Ehemann von allen geht, dann dürfte es hier jeden Tag Suppe und Eintopf geben. Beim Gemüseschneiden bringe ich die Gedanken zur Ruhe, die mir seit zwei Tagen durch den Kopf gehen. Ich drehe mich beim Grübeln gerne im Kreis, und mich hat gestern eine Erkenntnis eiskalt auf dem falschen Fuß erwischt – von der ich noch nicht so ganz weiß, wie ich mit ihr nun umgehen soll. Und welche Konsequenzen ich daraus ziehen werde.
Ob ich das wohl lernen kann, endlich damit aufzuhören, den Krempel einzusammeln und zu einem vernünftigen Ende zu bringen, der mir eigentlich gar nicht gehört? Das macht mich zum perfekten Deppen für Menschen, die einfach ihre halbfertigen Aufgaben wie gläserne Jonglierbälle in die Luft werfen – in dem Wissen, daß ich es nicht lassen kann, diese aufzufangen, bevor sie auf den Boden klatschen. Das ist nicht sonderlich clever. Sind ja schließlich nicht meine Glasbälle, die sich beim Aufprall auf dem Boden in einen Scherbenhaufen verwandeln.
Ich hab eine tiefsitzende Abneigung gegen schlampig oder nur halbfertig erledigte Aufgaben. Das macht mich ähnlich kirre wie schiefhängende Bilder. Ja, ich bin diejenige, die schiefe Bilder begradigen muß. Ich kann da einfach nicht anders, als hinzulangen und das Kunstwerk geradezurücken. Manchmal frage ich mich schon, ob ich eigentlich die Einzige bin, die Glasscherben auf dem Boden irgendwie unschön findet. Jemand könnte da reintreten, sich verletzen. Dann wird es teuer und das Geschrei ist groß. Also hechte ich durch die Gegend und fange Glaskugeln, bevor etwas passieren kann.
Ich möchte das gerne unterlassen, und genauso gerne hätte ich das, wenn in meinem Kopf nicht immer ein ganzer Film an möglichen Konsequenzen ablaufen würde. Offenbar fühle ich mich wohl gerne verantwortlich für Scheiß, der nicht meiner ist. Woher dieser Zwang kommt, das hat sich mir auch noch nicht erschlossen. Geschweige denn, daß ich eine Strategie gegen diesen drängenden Impuls, Glasscherben zu vermeiden, auf Lager hätte. Darauf werde ich wohl noch den ein oder anderen Tag gedanklich herumkauen.
Doch jetzt ist Wochenende. Ich werde Kinder hüten, ein Spaßbad unsicher machen und mit einem cleveren Zwölfjährigen gemütlich essen gehen. Ich habe dem großen Kind einen Restaurantbesuch versprochen und er hat sich Sushi gewünscht. Das Kind hat einen teuren Geschmack – ich sollte unüberlegte Einladungen zum Essen erst wieder aussprechen, wenn die Sushi-Phase vorbei ist. Immerhin: Mittlerweile habe ich fleißig geübt, mit Stäbchen zu essen, um mich vor dem Kind nicht zu blamieren. Und ich könnte wetten, er freut sich seit Tagen auf sein Sushi. Dafür sind Tanten schließlich da. Um mit ihnen extravagante Sachen zu machen.
Hab Cookie schon gesagt, daß es den restlichen Monat nur noch Nudeln mit Ketchup gibt – irgendwo muß ich das Geld ja wieder reinholen, das ich für Sushi-Essen auf den Kopf haue.
Das wird ein schönes Wochenende.










