Ich würde ja zu gerne mal wissen, was andere Autos eigentlich gegen mein Beschleunigungsmonster haben … Ständig wird die arme Kiste von anderen Autos gedisst. Abgefahrene Spiegel oder ohne Handbremse geparkte Smarts, die sich an des Beschleunigungsmonsters Stoßstange kuscheln. Aber, was ich sehr erstaunlich finde, in drei von vier Fällen habe ich es bisher mit ehrlichen Unfallgegnern zu tun gehabt. Die entweder Bescheid sagen oder gar die Polizei rufen, statt sich klammheimlich vom Acker zu machen. Auch wenn es im ersten Augenblick schlecht für den Blutdruck ist wenn eine freundliche Polizistin mir nach Feierabend an der Wohnungstüre förmlich mitteilt „Ihr geparktes Auto war Opfer eines Unfalls.“ und am Ende war es nur ein abgefahrener Außenspiegel.
So klingelte es die Tage wieder bei uns. Sehr hartnäckig. Da ich weder etwas bestellt hatte noch Besuch erwartete, gedachte ich, die Türklingel zu ignorieren. Der Klingelnde wiederum dachte nicht daran, mit dem Klingeln aufzuhören. Als ich dann doch entnervt die Türe öffnete, stand vor mir ein verlegener junger Mensch mit offensichtlichem Migrationshintergrund, der wissen wollte, ob der Toyota vor der Türe meiner sei, er wäre da nämlich hineingefahren. Och nö, nicht schon wieder …! Ich seufzte, zog mir Schuhe an, nahm mein Handy und folgte dem jungen Mann vor die Türe. Vor dem Beschleunigungsmonster das typische Klischee: ein auf Hochglanz polierter 3er BMW, bei dem die Reparatur einer Delle vermutlich mehr Scheine kostet als mein Auto überhaupt noch wert ist.
Aufgeregt erzählte mir der junge Mann, der sich tatsächlich als Türke entpuppen sollte, was geschehen war. Er sei beim Rückwärts rangieren an mein Auto gekommen und er habe nicht einfach wegfahren wollen, das gehöre sich ja nicht. Also habe er geguckt, welche Namen auf den Klingelschildern am Haus eventuell zu den Initialen auf dem Nummernschild passen könnten, um Bescheid zu sagen. Okay, nicht nur sehr anständig sondern auch clever.
Ob sein Auto denn keine Parkhilfe hätte, wollte ich wissen. Doch, aber er habe sich so darauf konzentriert mit seinen schönen neuen Felgen den Bordstein nicht zu berühren, daß er gar nicht mitbekommen habe, wie das Ding gepiept hat. Ich muß grinsen. Seine Freundin grinst mit. Der junge Mann wird rot und fragt, ob ich die Polizei rufen möchte. Nee, will ich nicht entscheide ich aus einer spontanen Eingebung heraus. Er soll mir einfach seine Adresse und Telefonnummer geben, ich würde den Wagen dann anschauen lassen und falls doch was kaputt gegangen sei, würde ich mich bei ihm melden.
Bis auf eine Delle im Nummernschild und dem kaputten Kennzeichenhalter war an meinem Auto nix zu sehen. Eigentlich rufe ich bei so etwas immer die Polizei, aus Erfahrung heraus. Egal ob ich Verursacherin oder Geschädigte bin. Uneigentlich hatte ich wenig Lust jetzt bis zu einer Stunde und länger wegen eines Parkremplers auf die Polizei zu warten, zumal an dem 3er bis auf einen winzigen Lackschaden nix zu sehen war. Und der junge Mann war mir mit seiner Ehrlichkeit einfach sympathisch.
Sein Papa habe eine Werkstatt, da könne ich gerne vorbeifahren, dann würde man dort den Wagen anschauen und wenn nötig, auch einen Gutachter bestellen, ob mir das recht wäre. Etwas irritiert nicke ich, der junge Mann telefoniert und zack, habe ich für den nächsten Morgen einen Termin in einer kleinen freien Werkstatt um die Ecke. Wir verabschieden uns freundlich und ich gehe wieder nach oben, ganz froh darüber daß aus den Bildern von einem Totalschaden, welche die Worte „Ich bin in Ihr Auto gefahren!“ mir auf meine innere Leinwand projiziert haben, in der Realität nur eine Delle im Nummernschild wurde.
Am nächsten Morgen steige ich aus meinem Auto aus und werde freundlich von zwei Herren begrüßt, ich stelle mich kurz vor und erfahre, daß es der Neffe des Meisters war, der sich mit seinem Auto an das Beschleunigungsmonster gekuschelt hat. Der Meister fährt das Beschleunigungsmonster in die Halle, hebt ihn auf die Bühne und sein Kollege drückt mir erstmal einen starken türkischen Tee in die Hand, nachdem ich das Angebot eines Kaffees abgelehnt habe. Der Meister winkt mir, ich solle in die Werkstatt kommen und mit der Tasse in der Hand lasse ich mir zeigen, was hätte kaputt gehen können und daß das wohl nicht passiert ist.
Aber gut da stehen würde er, der über zwanzig Jahre alte Wagen und der Motor sähe ja mal wirklich top aus. Und wie, der habe schon zweihundertsiebzigtausend Kilometer auf der Uhr? Na, das sei schließlich ein Toyota, der wird mich mit Sicherheit noch ein paar Jahre begleiten. Wir unterhalten uns nett und die Atmosphäre ist einfach freundlich. Der junge Mann, wegen dem ich überhaupt in dieser Werkstatt stehe, schaut auf dem Weg zur Arbeit vorbei und wirkt sehr erleichtert, daß mir kein Schaden entstanden ist. Ich frage nach seinem Auto und er winkt ab, den Schaden an der Stoßstange könne er auspolieren, sein Auto wäre egal, Hauptsache meines wäre in Ordnung. Seine Verwandten ziehen ihn mit seinen unbeschädigten Felgen auf und wir scherzen ein wenig herum. Der Meister ersetzt den kaputten Kennzeichenhalter, damit ich das Schild nicht verliere und bietet mir, für meinen entstandenen Aufwand, zusätzlich an, für den nächsten Ölwechsel und Inspektion vorbeizukommen, sie würden das dann kostenlos erledigen. Ob ich damit einverstanden wäre. Wow.
Ich bin beschämt, denn mein erster Gedanke, als ich am vorigen Abend auf der Straße stand und mich mit dem typischen Klischee „Junger Mann mit Migrationshintergrund in teurem Auto“ konfrontiert sah, war mit Sicherheit nicht so freundlich. Wieder eine Situation, in der ich zuerst volle Lotte auf meine eigenen Vorurteile hereingefallen bin. Und am Ende sehr froh darüber bin, denn ich halte es für heilsam und gut wenn mir meine Vorurteile gegen die Stirn tippen und mir klar machen, mit was ich es da gerade zu tun habe. Denn ich halte Vorurteile erst dann für wirklich schädlich wenn wir uns nicht mehr bewußt sind, daß die Realität ganz anders aussehen kann als uns das von unseren vorgefertigten Meinungen suggeriert wird.
Und am Ende bin ich einfach froh darüber, daß das Beschleunigungsmonster, wenn es schon von anderen Autos gedisst wird, dabei die Art von Fahrer anzieht (und ja, es waren bisher halt Männer, die gegen mein Auto getitscht sind), die über den Anstand und die Ehrlichkeit verfügen, für den entstandenen Schaden einzustehen statt sich klammheimlich vom Acker zu machen. Das nährt meinen Glauben an das Gute im Menschen.
Kann man schließlich immer mal gebrauchen, dieses Ding mit dem Glauben an das Gute im Menschen.