„Wenigsten Sie stehen richtig!“ ist tatsächlich ein Kompliment, was ich so auch noch nicht gehört habe. Und ich stand im wörtlichen Sinne. Nämlich an meinem neuen Schreibtisch, den man mittels Elektrik zum Stehtisch hochfahren kann. Das freundliche Lob kam von der Betriebsärztin, die wir vor kurzem im Hause hatten. Mir war gar nicht bewußt, daß man falsch stehen kann. Zumindest, wenn man den Arbeitsschutz befragt, kann man das wohl durchaus. Bei mir sind alle Abstände und Winkel so, wie sie das sein sollten. Macht sich bestimmt gut im Portfolio meiner vielen Stärken: Sie ist außerordentlich gut dazu in der Lage, richtig zu stehen. Das nenn ich mal einen ungewöhnlichen Skill, den man in eine Bewerbung schreiben kann.
Nicht, daß ich gerade dabei wäre, Bewerbungen zu schreiben. Ich habe Interessanteres zu tun. Zum Beispiel komme ich nach einigem Nachdenken zu der Erkenntnis, daß die allseits beliebten Sprachnachrichten das technische Äquivalent zum Überraschungsei sein müssen. Man weiß vorher nicht, was drin ist, das ist schließlich der Witz daran. So gut wie nie drin waren bei mir die Figürchen, die mir in der Sammlung noch fehlten, dafür allerdings dieses merkwürdige Zusammenbauzeugs, was mir beim Versuch, der winzigen Anleitung zu folgen, irgendwo im Prozess auseinanderbrach oder ein Teil fiel auf den Boden und verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Wer immer sich auch gedacht hat „Hey, die Welt braucht dringend mehr akustisches Kleinfeuerwerk, laß doch mal per Sprachnachricht kommunizieren“, kann meiner Meinung nach Menschen nicht sehr gut leiden. Würde ich als wilde Behauptung einfach mal in den Raum werfen. Wer so etwas erfindet, hegt mit Sicherheit eine sehr tiefsitzende Abneigung gegen seine Mitmenschen. Und bevor wir uns hier falsch verstehen, ich rede nicht von der kurzen Mitteilung „Hey, ich komme später, ich stehe im Stau“, die man so absetzt, weil man beim Autofahren nicht großartig mit dem Smartphone herumfummeln sollte. Ich rede von diesen minutenlangen Monologen, in denen jeder zweite Satz irgendwo im Nirgendwo endet, mir ein beständiges „Ähm“ und Seufzen durch den Lautsprecher entgegen wabert und das halbe Privatleben eines Menschen ungebeten in mein Ohr dringt. Obwohl ich eigentlich nur eine einfache Information haben wollte. Keine Beichte.
Ehrlich, mich macht das kirre. Wenn ich das Gerede fünf Mal hören muß bis ich endlich die, für mich wichtigen Informationen, in dem Silbensalat mit Seufzerdressing zusammen gesammelt habe, steigt bei mir das Aggressionslevel sprunghaft an. Bei jeder Sprachnachricht, die mehr als dreißig Sekunden dauert, bin ich versucht, ohne Abhören einfach zu antworten „Mein Sprachmodul iss kaputt, schick als Text.“ Mache ich nicht, ich habe ja dieses tiefsitzende Bedürfnis, höflich sein zu wollen. Was ich allerdings konsequent mache: mit Text antworten. Ich weigere mich, ewig lange Monologe in mein Telefon zu quatschen.
Ja ja, ich weiß. Sprachnachrichten sind doch so viel praktischer und Tippen so unglaublich anstrengend. Nein. Monolog-Sprachnachrichtenverschicker sind für mich einfach nur faul oder unhöflich. Oder beides. Sprachnachrichten zwingen mich in eine vorgetäuschte Konversation, die ohne die Höflichkeit auskommt, dem Empfänger des Gequatsches, also mir, im Gegenzug live zuhören zu wollen. Sozusagen ein Telefonat auf der Einbahnstraße. Schön dekoriert mit Atemgeräuschen, Hintergrundklappern, Motorgeräuschen und jener eigenartigen Dynamik, in der ich mich plötzlich in einem schlecht gemachten Podcast wiederzufinden glaube.
Leider stirbt die Sprachnachricht nicht aus, ganz egal, wie sehr ich mich auch weigere, ebenfalls einen halben Podcast in mein mobiles Telefon zu quatschen. Die Sprachnachricht vermehrt sich wie Karnickel auf einer einsamen Insel ohne natürliche Freßfeinde. Ehe man sich versieht, sind die überall. Jedes neue Endgerät tut so als würde die Welt zu einem besseren Ort, wenn möglichst viele Menschen ungefiltert in ihre Geräte labern. Nö, ich bin der gegenteiligen Meinung: wer seine Mitmenschen mag, der zwingt sie nicht, minutenlanges Gestammel und unzusammenhängendes Gerede anzuhören und das möglichst mehrmals, weil die Antwort auf die Frage, die man gestellt hat, sich irgendwo in einem Nebensatz hinter dem Räuspern versteckt.
Ich bin ein sehr sprachaffiner Mensch. Und bevor ich auf elektronischem Wege antworte, denke ich nach und formuliere meine Antwort dementsprechend, möglichst auf den Punkt. Behauptet die Frau von sich, die gerade eine Menge Worte über so etwas Belangloses wie Sprachnachrichten in den digitalen Raum wirft. Der Ironie bin ich mir bewußt. Hey, ich hätte den Text auch einfach quatschen können. Mit „Ähms“ und Seufzen, das wäre mit Sicherheit nicht schöner.
Was wollte ich sagen? Ach, genau. Ich schreibe Textnachrichten aus Gründen. Auch wenn sie manchmal sehr lang sind – ich schiebe die Schuld auf die Tatsache, daß ich sehr, sehr schnell tippen kann und die meisten Nachrichten am PC verfasse – so kommen sie dennoch in ganzen Sätzen und enthalten exakt die Infos, nach denen ich gefragt wurde. Oder die ich weitergeben möchte. Vor allem kann man sie später noch einmal nachlesen und wird nicht gezwungen, sich zum drölfzigsten Mal anzuhören, was ich zum Punkt XY zu sagen hatte. Oder wo wir uns jetzt eigentlich um wie viel Uhr zum Essen verabredet hatten.
Jetzt muß ich dem Rest der Welt nur noch beibringen, mich mit diesen unsäglichen Sprachnachrichten zu verschonen. Schickt mir Text. Und wenn Ihr im Auto oder wo auch immer sitzt, wo Tippen ziemlich unpraktisch wäre, habe ich einen sehr einfachen Ratschlag für Euch: nicht alles erfordert eine sofortige Reaktion. Wenn es mir so wichtig ist, daß eine sofortige Reaktion Eurerseits erforderlich ist, dann schicke ich keine Textnachricht. Sondern, oh wie altmodisch, rufe ich direkt an.
Das kommt davon, wenn man eigentlich nur ein wenig von den letzten Tagen erzählen will und sich irgendwo gedanklich aufhängt. Wie so ein Schallplattenspieler, die älteren Semester unter Ihnen werden sich erinnern, bei dem die Nadel irgendwo hängen geblieben ist. Ob all der Aufregung über so etwas Belangloses wie Sprachnachrichten habe ich erfolgreich verdrängt, was ich eigentlich erzählen wollte. Immerhin trage ich noch keinen Lachs auf dem Kopf.
So ist das dann wohl manchmal. Dabei hätte ich noch mehr im Handgepäck, über das ich mich ereifern könnte. Über Fans der schnieken Produkte, die sich mit einem angefressenen Apfel schmücken. Oder die durchgeknallten Abkömmlinge von Karl Klammer, neuerdings sesshaft in Software, die ich ohne Unterstützung schon vorher bedienen konnte. Die Berichterstattung über unsere aktuelle Regierung, die man auch als Mittel gegen zu niedrigen Blutdruck an Menschen, die ihren Verstand gelegentlich benutzen, verschreiben könnte.
Ich könnte auch von der der Schönheit gelöster Excel-Aufgaben erzählen, bei denen es nie nur den einen Weg gibt, um zum Ergebnis zu kommen. Und wie viel Spaß ich damit haben kann, komplexe Berechnungen auszutüfteln. Oder den neuesten Abenteuern unseres frisch eingezogenen Tubby Nuggets. Der sich gut in diesen Haushalt einfügt, immerhin scheint er sehr PC-affin zu sein. Gelegentlich sitzt er mit Brille und Kopfhörer am Schreibtisch des Mannes. Um kurze Zeit später die Toilette zu blockieren. Oder sich auf meiner Couch an meinem Notebook die Zeit zu vertreiben.
Meine Welt braucht mehr Tubby Nugget und weniger Sprachnachrichten. Aber immerhin, ich stehe richtig. Ohne Lachs aufm Kopp. Ist doch auch was.

Schön an solchen Dialogen mit Sprachnachrichtenverschickern ist es dann, wenn man mit Texten antwortet, besonders mit schön langen. Am Rechner kann man auch einige der Chatapps installieren und dann kann man sogar mit Tastaturgeschwindigkeit richtig blockend lange Texte schreiben und sich freuen, wenn das Gegenüber lesen muss… Manchmal kam dann nichts mehr, bzw. einmal sogar die Rückfrage: wie tippst du denn so schnell. Das Gegenüber ging halt von der Affentastatur auf dem Handy aus, wo man bei jedem zweiten Wort (mindestens) die Autokorrektur von ihrem Irrtum befreien muss, aber am Rechner selbst… Nun ja. Nur nicht unhöflich sein oder überheblich. Die anderen können dafür schön und fein sprechen.