Nachdem ich das erste Paar Socken meines Jahresprojekts „Die Piratenbräute“ fertig hatte, flog die Zopfnadel zurück in die Untiefen meiner Nadelbox. Denn für die zweite Piratenbraut, die übrigens auch schon länger fertig ist, war die nicht nötig. Zum Glück. Mit dem zweiten Projekt meines ehrgeizigen Planes, mir in 2023 sechs Paar Socken zu stricken und dafür Anleitungen und Garne zu nutzen, die ich schon seit gefühlten Ewigkeiten habe, bin ich immerhin zu einem Drittel fertig. Ich bin auch vorsichtig, damit ich mir beim selber auf die Schulter klopfen selbige nicht verrenke … Versprochen.
Nur für das Fotografieren, Bilder bearbeiten und aufbereiten fürs Blog, da fehlte mir entweder die Lust oder die Zeit. Deswegen lag die Zweite im Bunde der Piratenbräute nett vereint mit ihrer Schwester Madame Zheng Yisao nach der Fertigstellung unbeachtet in der Schublade herum und wartete auf ihren großen Auftritt vor der Kamera. Ich wollte halt lieber stricken als fotografieren, zählt das als Ausrede?
Als Namenspatin für dieses Paar Socken durfte Anne Bonny sich die Ehre erweisen. Ebenfalls eine sehr komplexe und interessante Persönlichkeit, deren Legende auf einem Werk namens „A General History of the Robberies and Murders of the Most Notorious Pyrates“ beruht. Das Buch soll von einem Captain Charles Johnson verfasst worden sein, von dem einige Gelehrte anführen, es sei ein Pseudonym des Schriftstellers Daniel Defoe. Genau, der Autor von „Robinson Crusoe“. Da es sonst keinerlei Quellen gibt, die einzelne Stationen im Leben von Anne Bonny belegen können, ist ihre ganze Geschichte mit Vorsicht zu genießen. Spannend ist sie trotzdem.
Wer war nun Anne Bonny?
Anne Bonny soll die uneheliche Tochter des irischen Anwaltes William Cormac und seines Hausmädchens gewesen sein, die etwa um 1698 geboren wurde. Da ihr Vater sie nicht anerkennen konnte, kam er auf die clevere Idee, Anne als Junge auszugeben, der in seinem Haushalt aufwuchs und später dort in die Lehre gehen sollte. Dummerweise kam seine Ehefrau hinter die Täuschung. Aufgrund des daraus resultierenden Skandals verlor Cormac den größten Teil seiner Klienten. Also verließ er seine Frau, nahm seine Geliebte als auch die Tochter mit und ging in die amerikanischen Kolonien nach Charles Town.
Cormac erwarb dort Land, stellte sich kaufmännisch nicht ganz ungeschickt an und brachte es so zu Wohlstand. Und, wie das damals so üblich war, verlobte er seine Tochter Anne. Die fand das wohl nur so semi prickelnd und heiratete stattdessen 1718 den Seenmann und Gelegenheitsseeräuber John Bonny. Ihr Vater war darüber so erzürnt, daß er sie verstieß. So brannte Anne mit Bonny durch. Im wahrsten Sinne des Wortes, die Legende besagt, daß sie bei der Flucht von der väterlichen Plantage diese nieder gebrannt habe.
Mit John Bonny reiste sie nach New Providence (heute Nassau) auf den Bahamas. Die Stadt, die damals als die „Hauptstadt der Piraten“ galt. Anscheinend hielt der Zauber der Ehe nicht lange an. Denn Anne lernte den Piraten John „Calico Jack“ Rackham kennen. Der bot dem bisherigen Ehemann Annes zwar an, die junge Frau aus der Ehe frei zu kaufen, Bonny hingegen lehnte ab. Was Anne nicht davon abhielt, 1720 ihren Ehemann einfach hinter sich zu lassen und mit Calico Jack auf dem Schiff von Charles Vane anzuheuern. Der hätte sich das besser vorher überlegen sollen, das Pärchen setzte ihn nämlich erst als Kapitän ab und dann auch noch aus.
Nun im Besitz eines Schiffes übten die zwei sich in Freibeuterei und überfielen Kauffahrer entlang der jamaikanischen Küste. Wann genau sich Mary Read zu den beiden gesellte, ist unklar. Anne Bonny und Mary Read sollen sich ineinander verliebt haben und so zog man zu dritt kapernd, plündernd und mordend durch die Karibik. Das Trio wurde schließlich von einem britischen Kriegsschiff angegriffen und die Legende besagt, die Mannschaft hätte betrunken unter Deck gelegen. Bis auf Anne und Mary, die alleine gegen die Briten gekämpft haben sollen … Genutzt hat es ihnen nichts, gefangen genommen wurden sie trotzdem alle.
Man brachte sie nach Spanish Town, Jamaica, und machte ihnen den Prozess. Rackham und die männlichen Besatzungsmitglieder wurden für schuldig befunden und direkt gehängt. Anne und Mary hingegen wurden zwar ebenfalls zum Tode verurteilt, allerdings verschob man die Vollstreckung des Urteils nachdem man entdeckte, daß die Frauen schwanger waren. Mary Read soll im Gefängnis gestorben sein, Anne Bonny hingegen wurde entlassen. Mutmaßlich machte ihr Vater seinen Einfluß geltend. Sie kehrte zurück nach Charleston, heiratete, bekam Kinder und verbrachte den Rest ihres Lebens dort. Und so lebte sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage?
Wer gerne Hörspiele hört und mit Anne Bonny eine unterhaltsame Zeit haben möchte, dem kann ich das sehr gut gemachte Hörspiel des WDR empfehlen: „Anne Bonny – Die Piratin“, das sich in insgesamt acht Teilen dem Leben der Freibeuterin widmet. Wissenschaftlicher geht es bei dem Artikel „Pirate Queens? Was uns historische Quellen über Mary Read und Anne Bonny verraten – und was nicht.“ zu. Prädikat: sehr lesenswert. Hier findet Ihr Teil 1 und Teil 2.
Kuschelweiches Garn auf den Nadeln.
Während ich gebannt dem Hörspiel gelauscht habe, entstand also das zweite Paar Piratenbräute. Verstrickt habe ich dafür ein Garn, was seit Januar 2011 gut gehütet in meinem Wollvorrat liegt. Eigentlich wurde das mal gekauft, weil ich vor hatte, super kuschelige Socken für einen Lila-Fan zu stricken. Dessen Lila-Phase hatte sich bereits abrupt dem Ende genähert als ich den Plan dann in die Tat umsetzen wollte. Und so lag das edle Cashmere Sock von Zauberwiese unbeachtet in den Tiefen der Wollkisten …
Bis Anfang des Jahres. Da fiel mir der Strang beim Sichten des Vorrats in die Hand und ich dachte mir „Aus dir mache ich mir ein hübsches Paar kuschliger Socken!“ Ein perfekter Kandidat für mein Jahresprojekt! Fehlte nur noch eine schöne Anleitung. Beim Stöbern durch diverse Musterbücher in meiner kleinen Bibliothek nahm ich das Buch „Socken rund ums Jahr“ von Stephanie van der Linden in die Hand und fragte mich beim Durchblättern, warum das eigentlich so lange unbeachtet auf seinem Regalbrett gestanden hatte. Da sind eine Menge netter Anleitungen drin … Schlußendlich fiel meine Entscheidung auf „Im Rautenmuster“.
Und, wie lief das so mit dem Kaschmir?
Das Kaschmir lief wie am Schnürchen über die Nadeln. Das ließ sich so schön verstricken, ich war wirklich versucht, noch ein paar Stränge davon in meinen Wollvorrat zu integrieren … Zum Glück für meinen Geldbeutel scheint es das in der Zusammensetzung nicht mehr zu geben.
(Bevor ich das wieder vergesse: für das Erwähnen und Verlinken kommerzieller Angebote bekomme ich kein Geld. Ich mach das, weil mir das Zeugs gefällt wofür ich mal Geld ausgegeben habe. So viel zum Thema „unbezahlte Werbung“ und damit zurück zum Text.)
Auch hier hatte ich mir die Anleitung vorher nicht näher angesehen während der Planung meines ambitionierten Jahresprojektes. Doch dieses Mal hatte ich mehr Glück mit meiner Auswahl – „Im Rautenmuster“ wird ganz altmodisch vom Schaft zur Spitze gestrickt und verlangt keinen Einsatz einer Zopfnadel. Abnahmen, Umschläge, rechte und linke Maschen. Kann ich.
Ziemlich fix hatte ich den Musterrapport auf dem Kasten und, wie das immer so ist, reihte sich Runde an Runde. Dafür, daß ich nur nach Feierabend ein wenig Zeit hatte zum Stricken, war die zweite Piratenbraut ziemlich schnell fertig. Zumindest ging mir das Stricken besser von der Hand als bei ihrer Schwester. Hätte ich nicht alle zwei, drei Runden inne gehalten um andächtig die in der Entstehung begriffene schmusigweiche Socke zu streicheln, wäre ich vermutlich auch schneller fertig geworden.
Alles in allem ein schönes Projekt, das mir sehr viel Spaß gemacht hat. Und so soll das sein.
Schade, daß ich keine Möglichkeit habe, haptische Eindrücke via Internet zu übermitteln. Dann könntet Ihr selber probieren, wie schön sich das Garn anfühlt. Tja, also nur gucken. Gilt übrigens für alle, das mit dem nur Gucken. Denn dieses Sockenpaar bleibt definitiv bei mir. Und auch, wenn wir gerade Sommer haben und ich schon beim Gedanken an Wollsocken in vorauseilendem Gehorsam schwitzige Füße bekomme, ich freue mich darauf wenn ich meine hübschen Anne Bonny Socken an den ersten kalten Herbsttagen anziehen kann.
In diesem Sinne: auf zu neuen Ufern mit den Freibeuterinnen!