Samstag Morgen. Ich renne wie eine Irre durch die Bude, den Kopf voller Fragen. Habe ich alles eingepackt? Sind die Blumen alle gegossen? Ist das Ladekabel für unterwegs schon im Schwänchen? Habe ich alles, was ich zum Übernachten brauche? Kredit- und EC-Karte, Führerschein, Fahrzeugschein, alles da und an der Frau? Helmfunk ist aufgeladen? Calimoto ist auf dem neuesten Stand und hab ich die aktualisierten Karten herunter geladen? Was sagt die Wetter-Warn-App? Bleibt es trocken? Und, und, und … so geht das in einer Tour.
Doch dann komme ich schlußendlich auf den Hof und Cookie hat mein Schwänchen schon vor die Garage gestellt. Da steht sie in der Sonne, meine Maschine, und wartet geduldig, beladen zu werden. Ich räume alles in die Koffer, verabschiede mich von Cookie, dessen Motorrad wir gestern schon auf den Hänger geladen haben, und dann rolle ich vom Hof. Vor dem Schwänchen und mir liegen über sechshundert Kilometer Landstraße bis in den Ortenaukreis.
And my Heart skips, skips a beat.
Zum dritten Mal fahre ich den Weg in den Schwarzwaldurlaub mit dem Motorrad, gemütlich über Landstraßen. Inklusive Zwischenstop auf halbem Weg. Und alleine, zumindest fast. Nur das Schwänchen und ich. Doch jetzt muß ich erstmal aus dem Ruhrpott raus, am Rand von Haßlinghausen wartet an einer Tankstelle der Deauville-Kumpel, um mich ein Stück des Weges zu begleiten. Einfacher gesagt als getan, durch Essen zu fahren war nicht unbedingt eine meiner glorreichsten Ideen, ich werde fast anderthalb Stunden bis zum Treffpunkt brauchen. Merke: nächstes Mal über die Autobahn aus dem Pott raus statt durch Essen zu gurken. Spart Zeit und Nerven.
Mit Verspätung erreiche ich die Tankstelle und nutze die Gelegenheit, das Schwänchen mit Kraftstoff zu füttern sowie mit dem Deauville-Kumpel, der mich bereits erwartet, die Route zu klären. Er wird gemeinsam mit mir durch das Bergische fahren um dann nach Wipperfeld Richtung Heimat abzudrehen während ich weiter durchs Bergische Land gen Westerwald rolle. Und schnell ist der Ärger über die gefühlten fünfhundertzweiundvierzig roten Ampeln und bescheidenen Schlaglochpisten in Essen vergessen, die weitere Route wartet mit schönen Aussichten und sanften Kurven auf. Das Schwänchen schnurrt über kleine Straßen, durch Täler, bergauf und bergab.
And my Heart skips, skips a beat.
Das Bergische Land geht nahtlos in den Westerwald über und immerhin komme ich bis hinter Leuscheid. Bevor mir plötzlich mitten im Nirgendwo eine Straßensperre im Weg steht. Praktischerweise findet sich dort eine Bank, auf der bereits drei GS-Fahrer mittleren bis höheren Alters sitzen und ein Päuschen genießen. Ich halte an um auf der Karte eventuelle Ausweichrouten zu checken.
Wo ich denn hin wolle? Wenn es nicht Altenkirchen sei, dann könne ich kurz nach Niederirsen scharf links Richtung Ölsen fahren, da käme ich durch. Ähm … Ja. Wo ich hin will? In den Schwarzwald, antworte ich mit einem Schulterzucken, denn von den eben aufgeführten Ortsnamen habe ich noch nie im Leben was gehört. Was, ich wolle bis in den Schwarzwald? Alleine? Wie weit das sei, wo ich her käme, ob und wo ich Stop mache wolle. Und während ich so Rede und Antwort stehe, donnern mehrere Biker an uns vorbei. Die auch nicht wieder kommen. Daraus schließen die Herren und ich messerscharf „Da oben kommt man durch“. Also schwingen sich die drei auf ihre Mopeds, wünschen mir eine gute Reise und fahren winkend von dannen.
Ich nutze die Gelegenheit, an dem stillen Eckchen ein paar Minuten auf der Bank zu sitzen, mein Käsebrot zu vertilgen, Tee zu trinken und Cookie Updates zu schicken. Und das treue Schwänchen wartet geduldig darauf, daß wir weiter fahren. Gut die Hälfte der heutigen Etappe haben wir schon hinter uns gebracht.
And my Heart skips, skips a beat.
Wie das so ist, wenn man genug trinkt, dann will die Flüssigkeit irgendwann dem Lauf der Dinge folgen und den Körper wieder verlassen. Nun ist das als Frau in voller Montur inklusive Protektoren allenthalben nicht so einfach, immerhin fehlt mir das Körperteil, das man einfach durch den geöffneten Hosenschlitz führt und im Stehen bedienen kann … Zu der halben Straßensperre gehört ein Bauwagen, der immerhin praktisch genug in der Gegend herum steht, nämlich in einem kleinen Seitenweg, um mich vor den Augen der Menschen zu verbergen, die um die Straßensperre herum fahren.
Tja. Kann ich ahnen, daß eine Dame mit ihrem SUV nun ausgerechnet diesen kleinen Weg entlang fahren will? Da hocke ich also, den nicht mehr mit einer Mopedhose bedeckten Allerwertesten Richtung Böschung gedreht, der Oberkörper zeigt nach vorne, als die freundliche Dame neben mir hält, das Fenster herunter läßt und fragt, ob das da oben denn mein Motorrad sei. Ich nicke mit hochrotem Kopf. Oh, ginge es mir etwa nicht gut? Erkundigt sich die Freundliche besorgt. Ähm, doch, alles klar hier … ähm … also … ich hätte halt dringend mal gemußt und so … Bei der SUV-Fahrerin fällt der Groschen in Pfennigen, bis sie kapiert, warum ich wie so ein Depp halb hinter dem Bauwagen hocke und mit hochrotem Schädel herum stottere. Sie wünscht mir peinlich berührt einen schönen Tag und fährt mit quietschenden Reifen los.
Erleichtert, aus der doch etwas peinlichen Situation erlöst worden zu sein, kehre ich zu meinem Motorrad zurück.
And my Heart skips, skips a beat.
Die Route führt mich über kleine und noch kleinere Dörfer quer durch den Westerwald, bis runter nach Montabaur. Immerhin, von dem Ort hab ich schon mal gehört. Im Gegensatz zu Heupelzen, Kettenhausen oder Freirachdorf … Bekam ich im Bergischen Land die Linke kaum zurück an den Lenker, bei all den Bikern, die mir entgegen kamen, ist im Westerwald kaum jemand unterwegs. Weder Autos noch Motorräder, gefühlt sehe ich mehr ältere Herren, die auf teuren Fahrrädern irgendwelche Hügel hoch strampeln als Vehikel mit Motor.
Calimoto schleust mich an Montabaur vorbei ins Gelbachtal. Ich hätte erwartet, hier wesentlich mehr Biker anzutreffen, doch mir kommt exakt ein Motorradfahrer entgegen. Für einen sonnigen Samstag-Nachmittag finde ich das sehr erstaunlich, die Strecke soll doch ein Magnet für Mopedfahrer sein und immer wieder taucht sie in der Diskussion um Motorradlärm als Beispiel auf. Hab ich irgendwo ein „Für Motorräder gesperrt“ Schild übersehen? Nun, wenn dem so sein sollte, dann haben die potenten Knieschleifer, die mich plötzlich in einer lang gezogenen Linkskurve mit lautem Getöse überholen, das Schild ebenfalls übersehen oder gar ignoriert … Aufregen nützt ja nix, so lange ich vor Schreck nicht aus dem Sattel kippe … Statt den Blutdruck von Idioten in die Höhe treiben zu lassen, genieße ich lieber die schönen Kurven durch das Gelbachtal.
And my Heart skips, skips a beat.
Hinter Weinähr treibt es mich an der Lahn entlang bis Obernhof und danach nimmt Calimoto mit der Einstellung „superkurvig“ keine Gefangenen mehr. Alter Falter. Serpentinen bergauf mit Spitzkehren? Nicht gerade meine Stärke, doch die Dicke und ich meistern den Aufstieg. Wenn schon nicht mit neuen Geschwindigkeitsrekorden, dann immerhin mit einer sauberen Kurvenlinie. Oben angekommen beschließe ich, im nächsten Ort eine Pause einzulegen. Um meinen Durst zu stillen und Cookie ein Lebenszeichen zu senden.
Nun … dann kommt halt einfach mal für fünfzehn Kilometer keine Ortschaft mehr. Sondern ich fahre über einsame, kleine Landstraßen durch Täler und Wälder. Mehr als einmal beschleicht mich der leise Verdacht, daß man in ein paar Jahren vielleicht mein abgenagtes Skelett neben meinem verrosteten Motorrad finden würde, sollte ich mich hier vom Bock schießen … Doch dann erreiche ich wohlbehalten Hunzel, wo ich nicht nur einen Parkplatz für eine Rast finde sondern auch wieder Handy-Empfang habe. Deutschland und seine Mobilfunkabdeckung im Jahre 2023, ein Trauerspiel in ungezählten Akten.
Mit aufgefülltem Flüssigkeitsstand sowie nach einem kurzen Telefonat mit Cookie, der sich mit dem Beschleunigungsmonster samt Hänger über die Autobahn ins Kinzigtal kämpft, drücke ich den Startknopf des Schwänchens und höre? Nix. What the fuck? Natürlich, Seitenständer vergessen … Also einklappen und siehe da, sie startet ohne Murren.
And my Heart skips, skips a beat.
Ohne Mucken trägt mich das treue Schwänchen durch den westlichen Hintertaunus. Gefühlt scheint dort kaum jemand zu leben. Ab und an führt uns Calimoto durch kleine Siedlungen nur um uns dann über weite Strecke, nur mit Wald und Wiese so weit das Auge reicht, in die Einsamkeit zu werfen. Die Strecke bis kurz vor Rüdesheim ist fahrerisch ein Genuß, da stören mich auch die vereinzelten Wolken nicht. Selbst als diese ein wenig undicht werden und den ein oder anderen Tropfen über mir abladen.
In Presberg versiegt das Nass von oben und so komme ich am Röspelkopf über die L3454 runter nach Rüdesheim. Der Ausblick auf den Rhein ist, trotz dicker Wolken am Himmel, grandios. Einzig, ich vermisse die Brücke. Ich soll doch hier auf die andere Rheinseite, also wo isse hin, die Brücke? Ich gondel mit dreißig die Rheinpromenade entlang und frage mich, ob ich versehentlich in irgendeiner Touristenhölle gelandet bin? Und die Brücke ist immer noch nicht zu sehen. Kein Wunder. Es gibt auch keine Brücke. Es gibt eine … Fähre? Die dann zu meinem Entsetzen gerade abgelegt hat. Natürlich auf meiner Seite, was auch sonst …
And my Heart skips, skips a beat.
Ein kurzer Check auf GoogleMaps zeigt mir die verbliebene Zeit für vierundzwanzig Kilometer bis zum Ziel mit fast anderthalb Stunde an. Och nö … Ich schließe Fähren aus, irgendwo muß es doch eine verdammte Brücke über den Rhein geben? Gibt es. Ein Umweg von acht Kilometern, dafür bin ich in einundzwanzig Minuten am Ziel. Super, nehm ich. Und so habe ich den Rhein zu meiner Rechten und folge der Bundesstraße 42. Ist nicht die schönste Streckenführung, aber das ist mir egal. Ich will duschen, was essen, schlafen. In der Reihenfolge. Und das ziemlich zügig.
Einundzwanzig Minuten später lenke ich das Schwänchen auf den Parkplatz meiner Unterkunft, schleppe meine Plörren in mein Einzelzimmer, genieße eine ausgiebige Dusche und fahre danach zum Italiener. Nach 334 Kilometern und weit über sechs Stunden Reisezeit habe ich mir was Leckeres verdient. Entspannt sitze ich im Biergarten und esse gut. Der Regen setzt freundlicherweise erst ein, nachdem ich bezahlt habe.
Ich stelle das Schwänchen auf dem Parkplatz ab und tätschel ihm mit einem leisen „Danke Baby, bis morgen!“ den Tank … Was mir einen skeptischen Blick eines eben aus seinem Mercedes kletternden Ehepaares einbringt. Was denn? Es hat mich wohlbehalten 334 km durchs Land getragen, da werde ich mich noch für bedanken dürfen? Genau.
And my Heart skips, skips a beat.
Ab ins Bett. War ein anstrengender Tag und morgen erwarten mich noch einmal dreihundert Kilometer. Es ist nicht mal halb zehn, da bin ich schon tief und fest eingeschlafen. Hab ich mir verdient, den Schlaf.
Disclaimer: ich nutze auf dem Motorrad zum Navigieren die kostenpflichtige App Calimoto. Die Kosten dafür trage ich selber und ich erwähne die hin und wieder, weil ich sie zum einen mag und zum anderen nun mal meinen Weg damit finde. Vermutlich heißt das heute „Werbung, unbeauftragt“. Weisste Bescheid, Schätzelein.