Schon wieder 365 Tage später?

Konserviert und archiviert, ich hab’s gespeichert
Paraphiert und nummeriert, damit ich’s leicht hab‘
Denn ich weiß genau, bei mir läuft’s nicht für immer rund
Doch was mir bleibt, ist die Erinnerung

In einem schwarzen Fotoalbum mit ’nem silbernen Knopf
Bewahr‘ ich alle diese Bilder im Kopf

– SIDO „Bilder im Kopf“ –

Zum zweiten Mal sind 365 Tage vergangen. Das zweite Mal werde ich daran denken, daß ich Dich heute gerne anrufen möchte um „Happy Birthday“ zu sagen. Und am anderen Ende wird niemand mehr abheben. Wie so häufig in den vergangenen Monaten. „Weißt du noch, als wir …“ will ich sagen und dann lege ich das Handy wieder weg. Du wirst mir nicht mehr antworten und diese Realität ist nach wie vor bitter. So unglaublich bitter.

So viele Bilder, die in den letzten Wochen wieder aufgetaucht sind. Manchmal hege ich die Befürchtung, daß sie irgendwann verblassen und abgegriffen sein werden. So wie Fotos in einem Album, das zu oft durchgeblättert wurde. Ich will nicht, daß Du verblasst. Denn die zwanzig Jahre, die Du mein Leben lustiger und reicher gemacht hast, sie sind unglaublich wertvoll.

Du bist mein Freund, mich verbindet ein tiefes Band mit Dir und jetzt verschwindet das andere Ende dieses Bandes in einem undurchdringlichem schwarzen Nebel. Das macht mir Angst. Alter, die Erfahrung, wie es war, Dich zu verlieren, macht mir eine Heidenangst. Davor, was mit mir passiert wenn das nächste Bandende verschwindet. Ich bin nicht gut darin, neue Bänder zu knüpfen, die halten. Dafür bin ich wirklich Meisterin wenn es darum geht, bestehende Bänder stärker zu machen, daran fest zu halten, egal wie widrig die Umstände sein mögen. Wenn man mich läßt.

Ich hätte Dir so viel erzählen wollen in den letzten 365 Tagen. Weil Deine Meinung immer offen und ehrlich war, ganz egal ob mir Deine Worte in den Kram passten oder nicht. Mir nur zu sagen, was ich hören wollte, war einfach nie Dein Ding. Zu meinem großen Glück war es das nie. Ich kann die Gelegenheiten nicht mehr zählen, wo ich mir zerknirscht eingestehen mußte, daß ich auf dem Holzweg bin. Es gibt nichts, was mir schwerer fällt, als jemanden sagen zu müssen „Du hast recht“. Es gibt nur ganz, ganz wenige Menschen vor denen ich das zugeben kann. Seitdem Du nicht mehr das bist, ist es einer weniger. Du warst einer der Spiegel, in denen ich das sehen konnte, was für mich alleine im blinden Fleck nicht zu erkennen ist.

Bei der Vorstellung, wie Du die Ohren anlegst wenn Du von mir gehört hättest, daß ich tatsächlich vor habe, so ganz offiziell „Ja, ich will“ zu sagen, muß ich schmunzeln. Immerhin hatte ich das jahrelang kategorisch ausgeschlossen. Ich hätte Dich gefragt, ob das wirklich eine gute Idee ist und ich kann Deine Antwort förmlich hören „Auf jeden, ihr zwei seid füreinander gemacht.“

Es gibt noch so viel mehr, was mir in den vergangenen 365 Tagen widerfahren ist, was ich Dir gerne erzählt hätte. Jetzt kann ich nur noch mit den Bildern in meinem Kopf reden. Manchmal, wenn die Welt sehr leise ist, kann ich eine Antwort hören. Das ist Dein Geschenk an mich. Das Bild, das Du von mir hattest, war immer klar und es hat meine Wahrnehmung von mir geprägt wie kein anderes. Wenn ich nicht mehr sagen konnte, wer ich bin und was ich kann, hast Du diese Aufgabe für mich übernommen.

Ich habe alle diese Bilder im Kopf, all die gemeinsamen Erinnerungen. Sie sind, was mir von Dir geblieben ist. Es wird keine neuen Bilder mehr in unserem gemeinsamen Album geben. Und dieser Gedanke macht mich traurig, er schmerzt. An manchen Tagen mehr als an anderen. Heute denke ich an Dich, schlage das schwarze Album mit dem silbernen Knopf auf, worauf in dicken Lettern Dein Name steht, und blättere vorsichtig durch all die vielen Bilder.

365 Tage. Und heute wäre Dein zweiundfünfzigster Geburtstag.

Happy Birthday, Du alter Sack.

Ich vermisse Dich. Wo immer Du bist, ich trink einen auf Dich.