Und die Diagnose lautet: Meerweh.

Ich habe gerade ganz akutes Meerweh. Und um mich von diesem Zustand abzulenken lasse ich meinen Go Go Gadgetto ganz einfaches, unhippes Erdbeereis rühren während ich sachte mit dem Staubfeudel durch mein Blog gehe und die Spinnweben aus den Ecken kehre. Es war keine Zeit zum Schreiben. Jedes Mal, wenn ich den virtuellen oder auch echten Stift in die Hand nahm, waren die Worte weg. Als hätten sie allesamt ihre Koffer gepackt und wären von dannen gefahren. Nö, mit der wollen wir nicht. Wir wollen Sand und Salzwasser, Gischt und Wind, Sonne und Sommer. Hoffentlich haben sie sich gut vergnügt, meine Worte. So ganz ohne mich. Allmählich kommen sie wieder zu mir zurück und sie waren es. Sie hatten das Meerweh im Gepäck.

Was macht es denn, dieses Meerweh?

Meerweh findet man nicht in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. Man kann mit Meerweh auch nicht zum Arzt gehen und sich Tabletten verschreiben lassen. Meerweh äußert sich durch akutes Vermissen von Salzwasser, Wind und Wellen. Es ist chronisch, dieses Meerweh. Einmal damit angesteckt bleibt es den Betroffenen für den Rest des Lebens erhalten. Es gibt Zeiten, in denen die Betroffenen fast symptomfrei ein unbeschwertes Leben führen können, doch nur der regelmäßige Kontakt mit Meer stellt sicher daß Meerweh-Erkrankte nicht plötzlich akute Entzugserscheinungen durchleben müssen.

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Am weitesten verbreitet ist Meerweh unter Reisenden, kann aber auch seßhafte Zeitgenossen befallen. Die Wissenschaft ist sich noch uneinig was diese Störung auslöst und auch die eindeutige Zuordnung der Symptome fällt schwer. Fest steht allerdings, daß es sich dabei um eine Mutation des allgemein bekannten Fernwehs handelt. Das Betrachten von Meerbildern soll akute Symptome für einen Moment lindern.

Was ist deine Meerweh-Geschichte?

Ich hab mich mit der unbestimmten Sehnsucht nach Meeresrauschen und Salzwasser angesteckt als ich zum ersten Mal in England war. Vorher schien ich immun gegen diese romantische Verklärung von Wasser und Sand. Aufenthalte am Meer? Naja, geht so. Als kleines Kind hatte ich panische Angst vor Wind, das macht so einen Aufenthalt an windigen Küsten nur so semi-entspannend. Zumindest für meine Eltern, die sich ihren Strand-Urlaub auch anders vorgestellt haben werden als ihren permanent  brüllenden Nachwuchs davon zu überzeugen daß Sandstrand, Meer, Wellen und Wind doch eigentlich gar nicht so schlecht seien.

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Sie hatten keine Chance, die Strände Sylts interessierten mich als Dreikäsehoch einen Dreck so lange wie der Wind blies. Und auch später verband mich nicht viel mit dem Meer. Bis ich im Sommer 1995 das erste Mal den in die Steilküste Torquays eingebetteten Oddicombe Beach sah. Seitdem schlägt mein Herz schneller wenn ich Steilküsten und Wellen erblicke. Sollte es Euch mal nach Torquay verschlagen, dann fahrt mit der Cliff Railway bis hinunter an den Strand und lauft den Küstentrail Richtung Hafen an der Steilküste entlang. Es empfiehlt sich festes Schuhwerk, mit Absätzen wird das etwas hakelig – ich sprech da aus Erfahrung.

 Faszination Meer.

Wenn man mich fragt was genau eigentlich so faszinierend am Meer ist, ich wüßte keine gescheite Antwort zu geben, die am Ende nicht alle an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln ließe. Meer ist eine Naturgewalt, die sich dem Menschen nicht unterwirft. Vielleicht ist es diese Unbeugsamkeit, die Naturgewalten wie das Meer so faszinierend für mich machen.

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Vielleicht ist es auch einfach die Tatsache, daß mir der Geruch von Salzwasser und das Rauschen der Wellen den Kopf ausschalten. All die Stimmen, Zweifel, Urteile, Sorgen in meinem Kopf ertrinken sobald das Geräusch ans Ufer rollender Wellen auf meine Trommelfelle trifft. Ich bin nicht mehr so schrecklich erwachsen wenn ich die Schuhe ausziehen und barfuß durch eiskaltes Wasser hüpfen kann. Ich habe einfach Spaß, schöne Steine in die Hand zu nehmen die von den Gezeiten rund geschliffen wurden. Ich freue mich über Muscheln und das Gefühl nassen Sandes zwischen den Zehen. Meer macht mich glücklich. Einfach so.

Der perfekte Tag am Meer.

Als ich Ende Mai Frau Rabe besuchen fuhr ging ich der Armen schon Wochen vorher mit „Aber wir fahren ans Meer, ja? Bitte, bitte, bitte!?“ Ausrufen auf die Nerven. Weil Frau Rabe in Küstennähe wohnt hat sie es nicht weiter als eine Stunde um entweder an der Ost- oder der Nordsee dem Meer zu huldigen. Und so suchten wir uns den schönsten – und auch einzigen Tag mit Sonne aus – um an die Steilküste Schwedeneck zu fahren.

Nachdem Frau Rabe das Auto zielsicher unter, oder mehr so in, einem Haselnußstrauch geparkt hat laufen wir zu zweit durch blühende Felder den Schildern Richtung Strand nach. Es ist warm, die Sonne scheint, Möwen und Schwalben lassen sich vom Wind tragen und ein paar vereinzelte Schleierwolken ziehen über den Himmel. Wir laufen ein Stück oben die Steilküste entlang, essen Brötchen und sitzen in der Sonne auf einer Bank bevor wir uns nach unten an den Strand begeben.

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Und ich kann nicht anders. Wie immer wenn ich auf Wasser und Wellen treffe. Die Schuhe ausziehen und mit nackten Füßen über Steine balancieren, die Hosenbeine hoch krempeln und im kalten Ostseewasser von einem Fuß auf den anderen hüpfen gehören zu einem Strandbesuch dazu. Also mache ich genau das. Inklusive verzücktem Gequietsche. Kennt mich ja keiner der seltenen Spaziergänger, da kann ich auch quietschen vor Freude.

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Ich kann aber nicht nur lautstark quietschen, ich kann auch im Schneidersitz auf einem großen Findling inmitten der Wellen sitzen und einfach im Moment untergehen. Trotz des Windes, der sich alle Mühe gibt mir eine neue Frisur zu fönen, die Sonne auf der Haut spüren. Die Füße ins Wasser baumeln lassen. Die Augen schließen und die Wellen hören. Einen Moment so glücklich zu sein über diesen geschenkten schönen Tag daß mir die Tränen in die Augen schießen.

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Perfekt, perfekter, am perfektesten? Tag am Meer mit Frau Rabe, das ist ein Superlativ von „perfekt“.

Die Bilder sind übrigens alle analog entstanden. Daher dieser wunderbar perfekte unperfekte Look. Dieses Gefühl auf die Abzüge beziehungsweise Scans zu warten und beim Betrachten noch einmal abtauchen zu können, für einen kleinen Moment. Unbezahlbar.

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Manchmal ist Meerweh gar nicht so schlimm, sondern richtig, richtig schön. Und damit es keine akuten Entzugserscheinungen gibt plane ich heute einfach mal den nächsten Urlaub am Meer. Ohne Digitalkamera und ständig Internet, dafür mit viel Zeit und Reiseführern und analoger Kamera und Ausflügen und Füße ins Meer tauchen und so.

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Und, Ihr so? Auch Meerweh?

19 Gedanken zu „Und die Diagnose lautet: Meerweh.“

  1. Meerweh, was für ein schönes Wort, ich kann dich so gut verstehen, habe ich doch fast mein halbes Leben darunter gelitten und dann endlich für Heilung gesorgt, bin so dicht ans Meer gezogen, dass ich rings von Wasser umgeben bin, endlich…….
    Bereut habe ich diesen Schritt noch keine Sekunde.?

    1. Hi Patricia,

      ich beneide Dich 🙂

      Würde ich das Ruhrgebiet wirklich verlassen dann nur in Richtung Norden, Richtung Wasser. Oder Hamburg. Ich bin mehr so Großstadtkind, ich brauche meinen Lärm und meine rund um die Uhr geöffneten Tankstellen.

      Liebe Grüße,
      Mirtana

  2. Du hast es geschafft, jetzt habe ich auch akutes Meerweh! Und dabei hab ich null Zeit zum nächsten Strand zu fahren. Nichtmal, wenn er um die Ecke wäre. Aber zu Entschädigung habe ich deine tollen analogen Bilder hier auf dem Blog. Hach! <3 Danke dafür.

    Liebe Grüße, Carmen

    1. Ich glaube, ich hätte besser eine Warnung vor den Beitrag schalten sollen. So nach dem Motto „Achtung, kann akutes Meerweh triggern.“

      Auch wenn Du keine Zeit für Strand hast, es ist doch etwas Schönes das Dir die Zeit raubt – ich bin echt gespannt auf das Endergebnis <3

  3. Bis gerade eben nicht – jetzt definitiv und mit aller Macht. Aber ich fürchte, bei mir wird das nix mit baldigem Meerwiedersehen.. tja.
    Aber trotzdem dank für die schönen Fotos – das hilft auch schon so ein kleines bisschen! LG

    1. ich wuchs am Fuße einer riesigen Bergkette auf. Weit entfernt vom nächsten Meer. Seitdem sind Berge meins. Das Meer finde ich auch toll, aber Meerweh habe ich nie. Ich bin hier auch kaum am Meer, nur wegen Kind inzwischen 😀

  4. Schööööne Bilder! Und ja, Meerweh… Wobei ich meine Ladung ja erst im vergangenen Monat hatte. Aber kaum ist man weg, schon will man wieder hin, oder? 😉
    Liebe Grüße
    Nele

    1. Meer kann man nie genug haben. Find ich. Vielleicht gewöhnt man sich dran wenn man es jeden Tag vor der Haustüre hat. Na gut, wenn man es vor der Haustüre hat, dann kuriert das wohl auch das Meerweh 😉

  5. jaaaaaaaaaaa das Meer !! Ich war sogar auf dem Meer, bin gestern morgen von Schottland zurückgekommen. Auf der Fähre von Hull nach Rotterdam. Ein Traum dieses Scotland 🙂

    lieben Gruß Christa

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