Reiß dich vom Riemen, es ist nie zu spät.
Denn ein Weg entsteht erst, wenn man ihn geht.
Ich bin kein Herdentier, nur weil ich kein Hengst bin.
Ich bin ’ne, ich bin ’ne Hengstin!
– Jennifer Rostock –
Manchmal habe ich das. Dann fährt mir der Text eines Liedes direkt unter die Haut. Ohne Anklopfen, ohne Umweg. „Hengstin“ von Jennifer Rostock ist so ein Lied, da beginnt sofort ein ganzer innerer Chor, lautstark den Refrain mit zu singen, sobald der Song ertönt. Ich bin ’ne Hengstin.
Zumindest meistens. Gibt Tage, da fühle ich dieses Konzept so überhaupt nicht. Wie jedes Mal kurz vor der Abreise. Da freue ich mich wochenlang auf meinen Urlaub, auf unterwegs sein, auf Motorrad fahren und ein, zwei Tage vorher kippt diese Vorfreude um wie Milch, die ich zu lange in der Sonne stehen gelassen habe. Ach, und packen muß man dafür auch noch? Lustlosigkeit und die Frage „Was zum Teufel habe ich mir dabei gedacht, alleine irgendwohin fahren zu wollen und zu Hause ist doch auch schön!?“ machen sich am Vorabend breit. Kann ich nicht einfach heulend auf dem Boden sitzen, den ganzen Driss stornieren und die Stornogebühren gepflegt als Lehrgeld verbuchen?
Das sehr Praktische an diesem Älterwerden ist ja, daß man sich mit der Zeit immer besser kennenlernt. Mittlerweile bin ich mit mir gut genug befreundet, um mir über Folgendes sehr sicher zu sein: sobald ich den Motor gestartet habe und vom Hof gerollt sein werde, sind all der Überdruß und die Zweifel vergessen. Dann wird ein breites Grinsen die Kontrolle über meine Gesichtsmuskulatur an sich reißen.
Jetzt bin ich auf dem Weg nach Weimar. Alleine. Und das ist 2025 anscheinend immer noch ein Statement, als Frau ohne Begleitung mit dem Motorrad unterwegs zu sein. Auch wenn ich mir wünschte, daß das nicht mehr so wäre. Ich kenne diese Blicke, die mir an jeder Tankstelle und Rast begegnen. Die nach der Begleitung suchen sobald ich die Maschine abgestellt habe. Die zwischen Verwunderung, Respekt und gelegentlich Zweifel angesiedelt sind. Dazu kommen die Sprüche, mal gut gemeint, mal schief und mal ein Versuch, Konversation mit dem Alien zu führen.
„Bist du tatsächlich alleine unterwegs?“ fragen sie dann. Wenn ich mich rotzig fühle, reiße ich die Augen auf, drehe mich rum und fluche „Verdammt, hab ich etwa schon wieder meinen Betreuer abgehängt?“ Manchmal sagen sie „Das ist aber mutig, als Frau so ganz alleine.“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch und frage mich innerlich, was daran mutig sein soll. „Junge Frau, das ist aber eine große Maschine!“ erklären sie mir. „Ich bin schließlich ein großes Mädchen, ich kann die Maschine handhaben.“ Diese Begegnungen haben ihre eigenen Variationen. Mal ist es wohlmeinend, mal herablassend, mal witzig und manches Mal einfach nur blöd. Fast immer geht es darum, daß ich nicht ins Bild passe.
Ich bin ab und zu wirklich gerne ganz alleine unterwegs. Ich kann einfach fahren, ohne Warten zu müssen oder mich zu fragen, ob ich nicht zu langsam für den Rest bin. Ich entscheide mein Tempo, wo ich lang fahre und wie ich die Kurve nehme. Wann Pause ist und wann Zeit, die Fahrt fortzusetzen. Ohne mich mit jemandem absprechen zu müssen. Niemand muß warten, bis ich endlich damit fertig bin, das Schwänchen vor malerischer Landschaft abzulichten. In diesen Momenten öffnet sich beim Anblick der wechselnden Landschaft ein Raum in mir. Unterwegs ist Platz, um konzentriert im Moment zu sein.
Dieser Raum ist mir mittlerweile zum kostbaren Schatz geworden. Ja, ich habe seit siebzehn Jahren mit Cookie meinen Partner zur Seite, mittlerweile sind wir sogar verheiratet. Und trotzdem nehme ich mir die Zeit für mich allein. Denn alleine unterwegs zu sein ist für mich nicht gleichbedeutend mit Einsamkeit, sondern ein Stück Freiheit. Der Freiheit, Gedanken nachzuhängen, ohne Ablenkung bei mir zu sein, über Träume, Pläne und vergangene oder künftige Entscheidungen nachzudenken. Ohne den Alltag, der mir das Tempo oder die Richtung meiner Aufmerksamkeit diktiert.
Alleine reisen hat mein Selbstbewußtsein aufgepolstert. Selbstbewußtsein, das mir unglaublich oft nachgesagt wird, das ich aber selten wirklich fühle. Wie selbstbewußt kann ich schon sein, wenn ich vor dem Abflug zu einem Roadtrip auf Sardinien im Flughafen-Bistro sitze, in Tränen ausbrechen möchte, die Buxe bis zur Oberkante gestrichen voll habe und am liebsten mit dem besten Ehemann von allen wieder nach Hause fahren würde? Doch genau deshalb: Alleine reisen – egal womit – hat mir wertvolle Lektionen mitgegeben.
Ich habe etwas Fundamentales gelernt: „Ich kann das.“ Ich habe Zuversicht gelernt, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Widrigkeiten mit Stärke und Ruhe zu begegnen. Gerade auf dem Motorrad bringt mir jede Spitzkehre, jede Steigung, jede Umleitung diese kleine Bestätigung: Verdammt, ich kann das. Ich entscheide. Ich handle. Gut, manchmal nicht unbedingt klug, manchmal laufen die Dinge halt beschissen. Macht nichts, ich lerne daraus. Und sei es nur das tröstliche Wissen, daß ich meine Vierteltonne von Schwänchen ohne Hilfe aufgehoben bekomme.
Wir schreiben 2025. Und immer noch begegnet mir Unglauben und Erstaunen, daß ich als Frau alleine unterwegs sein kann. Obwohl ich verheiratet bin. Durch alle Altersklassen hinweg, mal am Rande bemerkt. Meiner Erfahrung tun gerade Frauen das viel zu selten. Woher kommen diese Schranken im Denken, daß alleine reisen, ohne Begleitung unterwegs sein, ein wenig Abenteuerluft schnuppern, auf sich selbst gestellt sein eine gefährliche Angelegenheit sei? Warum glauben wir, daß das doch gefährlich sein müsse? Ja, ja. Motorrad fahren kann gefährlich werden, keine Frage. Auf zwei Rädern ohne Knautschzone unterwegs zu sein ist nun mal mit Risiken verbunden.
Als allein reisende Frau mit Motorrad bin ich sichtbar. Viel sichtbarer, als ich mir das manchmal wünsche. Es wird bemerkt, es wird kommentiert, es löst Reaktionen aus. Ich feiere Frauen, die so stark und selbstbewußt sind, sich alleine auf den Weg zu machen. Egal, ob Margot Flügel-Anhalt, die 18.000 km auf einer kleinen Honda zurück legt, Caro Unterwegs mit ihrer Africa Twin oder Frau H. aus H., die auf Abenteuerreise durch Norwegen geht. Sie geben mir die Inspiration und die Stärke, mich auf den Weg zu machen.
Denn das eigentliche Abenteuer sind nicht die Kurven oder zurückgelegten Kilometer, die Blicke und Kommentare am Wegesrand. Das größte Abenteuer ist die Begegnung mit sich selber, den eigenen Ängsten, Unsicherheiten, Erwartungen. Alleine. Genau das macht das Motorradreisen für mich so unglaublich kraftvoll. Wer einmal die Stille im Kopf erlebt hat, die das Fahren über unbekannte Straßen mit sich bringt, und die klaren Gedanken, die am Ende des Tages übrig bleiben, der weiß, wie wichtig es ist, sich selber diesen Raum zu geben und ihn sich zu nehmen.
Tja. Eigentlich habe ich den Editor geöffnet, um so etwas wie einen Tourbericht über die gut sechshundert gefahrenen Kilometer bis nach Weimar zu schreiben. Und dann wurde irgendwie etwas vollkommen anderes daraus. Weil ich eine Mail bekommen habe zu einem älteren Blogtext „Moped-Führerschein mit 40„, über die ich mich wahnsinnig gefreut habe. Von einer Frau, die in meinem Alter ist und gerade lernt, Motorrad zu fahren. Liebe Leserin, lass Dir gesagt sein: Du wirst es nicht bereuen. Versprochen.
Unterwegs habe ich ein breites Grinsen im Gesicht, als mir irgendwo in Hessen auf einer kleinen Landstraße, die zwei mir bis dato vollkommen unbekannte Kuhkäffer verbindet, Jennifer Rostocks Song von meiner gut fünfzehn Stunden umfassenden Roadtrip Playlist gespielt wird. Während die Straße sich durch abgeerntete Felder windet, die Sonne mit Schäfchenwolken verstecken spielt und die ersten Anzeichen von Herbst in der Luft liegen, reiße ich mich vom Riemen.
Weil ich ’ne Hengstin bin.