Entschleunigung? Am Arsch. Oder: Warum eigentlich analog?

Gute Frage. Der Glaubenskampf zwischen „Digitalrittern“ und „Analognerds“ füllt ja mittlerweile Foren, Blogs und Zeitschriften. Und immer wieder wird der Trend von allen Seiten zurück Richtung analog geprügelt, dabei belächelt man dann die Digitalfotografie abfällig. Digital knipst man doch nur, das kann nun wahrlich jeder. Also bitte, der wahre Künstler fotografiert analog! Das liest man doch schließlich immer wieder. Das Wunder der Entschleunigung heißt Analogfotografie und die ist nur was für Könner.

Aber nicht auf popeligem 35mm Film, als Könner muß es mindestens Mittelformat sein, wenn nicht sogar Großformat. Da macht man sich doch erst richtig Gedanken über das, was man fotografiert, wenn so ein Rollfilm mit 12 Aufnahmen mal eben schlappe zehn Euro kostet. Das entschleunigt doch wunderbar, da wird man zum Künstler bei so viel Entschleunigung. Die ganz, ganz hohe Kunst ist dann noch das Selbstentwickeln. Damit biste dann King. Nur analog macht Dich zu einem besseren Fotografen, digital ist doch Pfui und was für Möchtegern-Pfuscher. Und so ein Artikel ist auch erst dann ganz rund wenn der Verfasser dem gebeutelten Leser mindestens fünf Mal die berühmte „Entschleunigung“ ins Objektiv gedrückt hat. Ohne Entschleunigung kannste ja auch keinen Text über Analogfotografie bringen, nech?

Alter Falter. Artikel, die diesen Bullshit in die Welt blasen, kommen mir immer mal wieder unter und lösen in mir mehr so den Reflex aus, den Verfasser mal kräftig von seinem hohen Ross zu schütteln. Weder analog noch digital machen einen zum „besseren Fotografen“, was auch immer man darunter verstehen möchte. Beides bietet mir Werkzeuge, deren Benutzung ich erlernen kann. Sie sind verschieden und ich kann damit verschiedene Ergebnisse erzielen. Besser? Das ist am Ende des Tages schlicht und ergreifend Geschmacksfrage. Und über Geschmack streite ich nicht.

Schließlich habe ich auch eine digitale Spiegelreflex, mit der ich gerne arbeite und mit der ich, viel wichtiger, spielen kann. Spielen im Sinne von ausprobieren. Ich kann dutzende von Bildern vom immer gleichen Motiv machen und dabei mit unterschiedlichen Standpunkten oder Einstellungen experimentieren. Ich kann mir das Ergebnis direkt auf dem Display ansehen und wieder von vorne anfangen wenn mir die Bilder nicht gefallen. Wenn ich mich darauf einlasse dann ist meine digitale Spiegelreflex eine echt geniale Lehrerin, die mir innerhalb kurzer Zeit eine Menge beibringen kann. Wenn ich mir die Zeit nehme, mich mit den Grundlagen zu beschäftigen und aus meinen Fehlern zu lernen.

Vorweg genommen, diesen steilen Lernprozeß kann die Analogfotografie nicht leisten. Nicht in der Geschwindigkeit, für mich wenigstens. Das macht sie weder besser noch schlechter. Es macht sie einfach nur anders. Das Arbeiten mit analogen Kameras kann einem dennoch genauso viel beibringen wie eine Digitalkamera. Über die Technik und Mechanik, die dahinter steckt. Sie bringt mir Geduld bei wenn ich erst warten muß bis meine Filme aus der Entwicklung wieder da sind. Sie lehrt mich meine Vorstellungskraft zu benutzen wenn ich nur sechsunddreißig Versuche habe und nicht einmal das Ergebnis sofort betrachten kann. Sie lässt sich anfassen, vom Film einlegen über das Spannen des Transporthebels und das Drücken des Auslösers bis hin zum fertigen Negativ. Und am Ende des Tages macht sie mir einfach Spaß.

Sollte das nicht die Hauptsache sein? Der Spaß an der Fotografie, egal welche Kamera man nutzt? Dieses „Aber das ist besser als das und das ist neuer als das und das ist schärfer und das hat Super-Pixel“ Geseier in der Szene geht mir persönlich ganz gewaltig auf den Sack. Abfällig über Leute quatschen, die es anders machen als man selber? Geht gar nicht, am Ende geht es nur um Bilder. Und die müssen mir gefallen. Ich hab schon so manches analoge Bild gesehen daß von der Tatsache seiner Analogität alleine auch nicht besser wurde.

Wie heißt das so schön? Der Fotograf macht das Bild, nicht die Kamera … Von daher brauche ich diesen größer, besser, teurer Ausrüstungswahn echt nicht. Wenn ich nie Autofahren gelernt habe nützt mir ja auch ein Ferrari nix. Fotografieren lernen kann man digital genauso gut wie analog. Die Werkzeuge und die Prozesse unterscheiden sich, mehr nicht. Sucht Euch doch einfach aus worauf Ihr Bock habt und zieht das dann durch. Oder lasst es bleiben. Euer Hobby, Eure Regeln, Eure Bilder.

Und bitte hört mit diesem Entschleunigungs-Geblubber auf. Dieses gestelzte Gequatsche hilft keinem, der sich über Analogfotografie informieren möchte. Es liegt in der Natur der Sache daß die gute alte Analog-Dame einfach die langsamere Art zu fotografieren ist.

Analog fotografieren ist genauso Handwerk oder Kunst wie ihre digitale Schwester, die Prozesse in Vor- und Nachbereitung machen den Unterschied. Man kann das, was man in dem einen Bereich lernt, sehr simpel auf den anderen übertragen. Man kann beides kombinieren, muß man aber nicht.

Man kann auch einfach Spaß daran haben, die Benutzung der verschiedensten Werkzeuge zu erlernen und damit kreativ zu werden.

Ganz ohne Entschleunigung …

4 Gedanken zu „Entschleunigung? Am Arsch. Oder: Warum eigentlich analog?“

  1. Da wir Menschen in unserer heutigen „zivilisierten“ Welt kaum noch Wertschätzung erfahren, versuchen einige halt, diese zu erzwingen (auf zugegeben teils merkwürdige Art). Eigentlich braucht der Mensch in seiner Sippe eine überlebenswichtige Aufgabe und die automatisch entstehende Wertschätzung.
    Wir leben nicht mehr artgerecht, die Evolution hat noch nicht ganz mitgespielt.

    ;-D

    1. … versuchen einige halt, diese zu erzwingen …

      Einige? Ich habe mich mittlerweile aus den meisten Foto-Communities wieder abgemeldet weil a) kaum jemand dort in der Lage ist ein Bild konstruktiv zu kritisieren, von „Oh, tolles Bild!“ oder „Das ist doof!“ kann ich nix lernen, und b) mir das gegenseitige Beweihräuchern auf den Nerv fiel.

      Ich brauche Kritik um aus meinen Fehlern zu lernen. Echte Wertschätzung bringe ich einem anderen, der mich um konstruktive Kritik bittet, dann entgegen wenn ich mich mit seinem Werk (in dem Falle Bild) beschäftige und mich dazu sachlich äußere. Dazu gehört halt nicht die Grundsatzdiskussion welches Werkzeug jetzt das Bessere sei …

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