Makrofotos im Regen unter Bäumen stehen

Makrofotos. Oder „… werde ich im Regen unter Bäumen stehen“

Ich habe Lust auf Makrofotos und wir schreiben den ersten November. Nein, nicht heute. Sondern an dem Nachmittag, an dem diese Geschichte begann. Und endete. Allerheiligen, der stille Feiertag, an dem es verboten ist zu tanzen. Das man nicht tanzen darf ist alles, was ich mir gemerkt habe als meine Lehrerin mir damals im Religionsunterricht die Feiertage und deren Bedeutung nahe bringen wollte, ich es aber vorzog unter der Bank zu lesen. Was ich übrigens sehr häufig getan habe, heimlich unter der Schulbank zu lesen. Dieser erste November macht dem Ruf diesen Monats, grau und trüb zu sein, alle Ehre. Es graut und trübt draußen vor sich hin, daß es der in mir wohnhaften Melancholie eine wahre Wonne ist aus dem Fenster zu schauen. „Ich habe heute Lust auf einen Spaziergang um zu fotografieren,“ eröffne ich Cookie beim Frühstück. Makrofotos

Ich solle mich damit beeilen, erwidert mir dieser, bevor es anfinge zu regnen. Ach was, das ist nur bewölkt, es wird schon nicht regnen. Schließlich habe ich den Plan gefaßt, mein 85er Makro auf die Dorothy zu schrauben und damit stimmungsvoll düstere Bilder von Laub und ähnlichem zu machen. Da wird es schon nicht regnen. Ich bin mir meiner Sache sehr sicher. Und wie das so ist, wenn der Kamera-Akku erst noch geladen werden will, ich selber duschen muß und was ich sonst noch so tue bevor ich in der Lage bin, geordnet das Haus zu verlassen, vergehen zwischen meiner großspurigen Verkündung und der Umsetzung selbiger noch gute zwei Stunden.

Makrofotos

Zwei Stunden, die der Himmel dazu nutzt noch mehr Wolken zu versammeln, deren Grautöne die Skala von sehr hell bis sehr dunkel abdecken. Als ich aus dem Haus komme, ziehe ich mir noch einmal meine Mütze zurecht. Schließlich ist es Herbst, da hat es gefälligst kühl genug zu sein um endlich wieder all das selbstgestrickte Zeugs anziehen zu können. Wer braucht eine Regenjacke wenn er sich in selbstgestrickte Tücher und Schals hüllen kann? Es wird schon nicht regnen.

Makrofotos

Beim Einbiegen auf den Parkplatz des Wasserschlosses Wittringen entdecke ich die ersten Tropfen auf der Windschutzscheibe. Es wird nicht etwa doch anfangen zu regnen? Das war jetzt nicht der Deal. Na ach, das bißchen Nieselregen können die Kamera und ich schon ab. Ich pfriemel mir die Ohrstöpsel unter der Mütze zurecht, schalte meine Playlist „Autumn Walk“ ein und marschiere mit der Kamera im Anschlag los.

Langsam, aber sicher wird aus dem Nieselregen ein fester, beständiger Landregen. Viel bekomme ich davon unter dem bunten Blätterdach des Wittringer Waldes nicht mit, nur ab und an verirrt sich ein besonders dicker Tropfen in mein Gesicht. Stört mich nicht, ich bin beschäftigt. Wenn das Leben Dir Zitronen gibt, mach Limonade draus. Wenn das Leben Dir Regen gibt, mach Makrofotos im Regen. So einfach soll das sein? Ja, so einfach ist das.

Makrofotos

Lange habe ich die Kamera liegen lassen, sie oft nur halbherzig mit geschleppt als wäre sie ein teures aber sonst unnützes Accessoire. Mochte meine Bilder nicht, fand meine Einfälle und Ideen langweilig, hegte einen leisen Groll gegen mein Hobby. Also legte ich die Kamera weg, den Spaß an Bildern kann ich nicht erzwingen.

Makrofotos

So ruhte meine Dorothy auf ihrem Kissen in meinem Arbeitszimmer und wir harrten gemeinsam der Dinge, die kommen würden. Mehr als einmal habe ich darüber nachgedacht, meine digitale Kamera und alles, was mittlerweile so zu ihr gehört, zu verkaufen um endgültig einen Knopf an das Kapitel „Kameraliebe“ zu machen. Wenn Du ein totes Pferd reitest, steig ab. Heißt es. So ganz ehrlich, zwischenzeitlich fühlte sich das Steckenpferd Photographie für mich schon fast fossil und nicht nur tot an.

Makrofotos

Zum Glück habe ich Dorothy und ihr Zubehör behalten. Denn irgendwann kam das Verlangen, die mir so vertraute kleine Spiegelreflex, deren Knöpfe ich nach all der Zeit mittlerweile blind bedienen kann, wieder in die Hand zu nehmen. Und mich für ein, zwei Stunden in das Sehen und Festhalten zu versenken. Photographie ist ähnlich wie Meditation. Oder Lesen, wenn ich lese bekomme ich auch nichts mehr mit von meiner Umwelt. Ich freue mich, habe Spaß an dem was ich tue.

Bis heute kann ich mir nicht wirklich schlüssig erklären, was passiert ist daß mir der Spaß an der Photographie so dermaßen abhanden gekommen ist. Habe ich mir den Kopf zu vollgestopft mit andererleuts Bildern, die mich in den sozialen Medien täglich überflutet haben? Symptome der Unzufriedenheit, die Instagram und Konsorten in mir ausgelöst haben? Oder doch etwas ganz Anderes, was sich als Spaßbremse in meinem Kopf eingenistet hat? Ich weiß es nicht.

Anderthalb Stunden später steige ich durch geweicht in mein Auto, viele Bilder auf der Speicherkarte und ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Die Zündung meiner Familienkutsche erweckt mein Radio zum Leben und Ed Sheeran singt mir „Oh, make it rain. Make it rain, make it rain down low …“

Makrofotos

Hat geklappt, Eddie. Hat geklappt.

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