Schon als Teenager sah ich jedem vorbei fahrenden Motorrad mit dem Gedanken „Ich will das auch!“ nach. Als ich endlich alt genug war und mit Ferienjobs genügend Geld dafür verdient hatte um den Führerschein fürs Auto zu machen, sah der Plan eigentlich vor, das mit dem Motorrad fahren dürfen gleich mit zu erledigen. Wie das so ist mit Plänen und dem Leben, so wurde auch dieser durch widrige Umstände durchkreuzt. Und so dachte ich mir damals, in meinem jugendlichen Wahnsinn, daß ich den Führerschein dann einfach später nachholen würde …
Oh, lieber Herr Gesangsverein, was war mein zwanzigjähriges Ich naiv. Denn später fehlte mir jahrelang entweder die Zeit oder das nötige Kleingeld um den Plan in die Tat umzusetzen. Gut zwanzig Jahre später, nachdem mir ein Prüfer den Autoführerschein in die Hand drückte, hatte ich endlich beides: Zeit und Geld. Weil vierzig so eine schöne runde Zahl ist, nahm ich mein Erspartes und schenkte mir 2019 den Führerschein zur vierten Null. Nach dem Motto „Jetzt oder nie“. Oder es ist eine einsetzende Midlife-Crisis, das wurde nie abschließend geklärt.
Die Zeit in der Fahrschule war eine sehr lehrreiche Zeit, gespickt mit Erkenntnissen, von denen ich mir im ein oder anderen Falle gewünscht hätte, daß mich da mal vorher einer drauf aufmerksam gemacht hätte …
Erstens: Du wirst die Schulbank drücken. Mit Kindern.
Zur Führerscheinprüfung gehören bekanntermaßen zwei Teile: die theoretische und die praktische Prüfung. Weswegen man halt in Theoriestunden seine Zeit absitzt, Prüfungsbögen zur Übung ausfüllt und sich sonst allerlei nützliches Wissen wie die Bremswegberechnung in den Kopf haut. Spätestens in der ersten Theoriestunde, wenn Du da sitzt und Dir die aknegeplagten Gesichter Deiner Mitschüler so anschaust, wird Dir irgendwann folgendes klar „Alter Falter, als die geboren wurden durfte ich schon zwei Jahre Auto fahren. Diese Kinder sind jünger als mein Autoführerschein.“ Übrigens, das ist exakt der Moment, in dem Dir wirklich bewußt wird, daß Du im Laufe des Jahres vierzig wirst. Vierzig, örks! Nimm den Moment am Besten mit Humor, alles andere führt nur zu depressiven Verstimmungen.
Und diese Kids werden Dich komisch angucken. Du gehörst halt nicht dazu, Du bist eine mittelalte Frau (oder ein mittelalter Herr) auf dem Weg Motorrad fahren lernen zu wollen. Für diese Kinder bist Du entweder steinalt oder stehst auf einer Stufe mit ihren Eltern. Das rückt das eigene Selbstbild mal ganz ordentlich gerade.
Zweitens: Autofahren ungleich Motorradfahren.
Du fährst schon ziemlich lange Auto? Gut, aber komm jetzt bitte nicht auf die Idee, nur weil Du Dich schon seit Markteinführung der Playstation 2 mit dem Auto durch den Straßenverkehr bewegst, wäre es das Gleiche ein Motorrad durch selbigen zu bringen. Ist es nicht. Mal so gar nicht. Du magst die Verkehrsregeln kennen und Dein Auto gut beherrschen. Das wird Dir zum ersten Mal auf dem Motorrad im Straßenverkehr exakt so viel nutzen: nämlich nix.
Ich bin Anfang dreißig für ein paar Jahre mit dem 50er Roller, liebevoll Rängdängdäng genannt, zur Arbeit gefahren. Und auch hier gilt: ein Roller ist kein Motorrad. Es macht den Einstieg vielleicht ein klein wenig leichter, ist trotzdem nicht vergleichbar – Äpfel und Birnen und so.
Das erste Mal auf der Straße fahren wird Dich gnadenlos an eine Grenze bringen. Motorrad fahren erfordert ein komplexes Zusammenspiel von Sehen, Reagieren und Abläufen, die anders sind als beim Auto. Beim Auto wird mit dem linken Fuß gekuppelt und mit der rechten Hand geschaltet, beim Motorrad hingegen betätigt man die Kupplung mit der linken Hand und schaltet mit dem linken Fuß durch die Gänge. Bring das nach zwanzig Jahren Führerschein mit Autobedienung und einem eingeschliffenen Ablauf erstmal in Deinem Hirn unter. Dazu kommt die Tatsache, daß Du keinen Metallkasten mehr um Dich herum hast.
Spätestens bei der ersten Fahrstunde in strömendem Regen wird Dir sehr schnell klar werden, was für ein lebensnotwendiges Teil so ein sonst unscheinbar wirkender Scheibenwischer ist. Dein Helmvisier hat im Normalfall nämlich keinen und das Gefühl, als wärest Du plötzlich in einem Aquarium unterwegs, kann Dir durchaus sehr eindringlich verständlich machen, wie verletzlich Du auf einem Motorrad im Gegensatz zum Auto bist.
Andererseits war ich sehr dankbar für diese Fahrt durch den Wolkenbruch während meiner Fahrschulzeit. Die beruhigende Stimme meines Fahrlehrers im Ohr hat mir eine Menge Sicherheit gegeben. Regen kannte ich zwar aus meiner Zeit als Rollerfahrerin, es macht allerdings einen gewaltigen Unterschied ob man auf einem kleinen Roller oder einer dicken Maschine unterwegs ist. Bei 100 km/h fühlt sich Regen anders an als bei maximal fünfzig.
Der Fairness halber: diese Erkenntnis war nicht allein mein Verdienst, mir wurde von meinem Fahrlehrer vor Start der praktischen Stunden klipp und klar gesagt „Glaub nicht, Du könntest Motorrad fahren nur weil Du seit zwanzig Jahren Auto fährst.“ Ähm … joa. Wo er Recht hatte, da hat er Recht, nech?
Drittens: Du bist nicht mehr achtzehn.
Tja, schade aber auch. Das Alter kriegt uns halt alle irgendwann… Als schon ziemlich lange erwachsener Mensch den Führerschein zu machen heißt auch, daß Dir die Leichtigkeit der Jugend nicht mehr zur Verfügung steht. Dafür hast Du Erfahrungen. Was einerseits eine super Sache ist. Andererseits … nun ja. Erfahrung bedeutet auch, daß Du sehr genau weißt, was Dir da bei Deinem neuen Hobby so alles passieren könnte. Etwas, um daß ich die Kids in der Fahrschule echt beneidet habe: ihre Sorglosigkeit.
Als Zwanzigjährige hätte ich nicht lange darüber nachgedacht, was alles passieren könnte, sondern eben gemacht. Als knapp Vierzigjährige kurz vor Ablauf des MDH saß ich dann auf der Maschine und war gefühlt ewig nicht in der Lage, diese an sich sehr simple Grundfahrübung „Kreisfahrt“ zu absolvieren. Ich bin Eier und Achten gefahren oder die Kreise waren viel zu groß. Ich war nicht in der Lage, den Kopf auszuschalten, der mir ständig zu erklären versuchte, was alles passieren könne wenn das Motorrad zu einer Seite kippt während ich noch drauf sitze. Hallo Schräglage, braucht man die denn nun so unbedingt…?!
Sehr schön auch immer die Ansage meines Fahrlehrers über Funk „Du kannst fahren, du hast hier Vorfahrt.“ Jahaaa, das weiß ich doch, ich kenn allerdings die Strecke, die unter anderem zu meinem Arbeitsweg gehört und hier wird mir regelmäßig die Vorfahrt genommen und jetzt habe ich kein Auto mit Airbags um mich herum … Yadda, yadda, yadda …
Kommt halt in der praktischen Prüfung nicht so dolle wenn Du vor jeder Kreuzung oder Einmündung vom Gas gehst an der Du eigentlich Vorfahrt hättest weil die Erfahrung Dich gelehrt hat, daß andere Verkehrsteilnehmer der Meinung sind, die Straßenverkehrsordnung wäre lediglich dafür da sie kreativ auslegen zu dürfen.
Viertens: Ohne Respekt geht es nicht.
Verwechsel Angst nicht mit Respekt. Und mit Angst gehörst Du nicht auf ein Motorrad. Punkt. Ist mir in den ersten Fahrstunden die Pumpe gegangen? Natürlich, nach der ersten Reitstunde im ersten und zweiten Gang war ich nass geschwitzt. Habe ich Angst vor dem gehabt, was ich da tue? Nein. War ich nervös vor den Prüfungen? Mit Sicherheit, zumal ich den praktischen Teil bei Dauerregen absolvieren durfte.
Was ich immer hatte, heute noch habe, das ist Respekt. Mit dem Führeschein Klasse A habe ich die Erlaubnis, alle Motorradklassen fahren zu dürfen. Aktuell bewege ich mit meiner Deauville weit über zweihundert Kilogramm mit sehr hoher Geschwindigkeit. Ohne schützende Airbags und ähnliche Annehmlichkeiten, die ein Auto so mit sich bringt, und bin trotzdem nicht Queen of the Road. Es braucht nur einen unaufmerksamen Autofahrer oder eine falsche Reaktion meinerseits um mich von der Straße zu fegen. Dieses Wissen fährt bei mir immer mit.
Motorrad fahren ohne Respekt und sich für unbesiegbar halten geht mit achtzehn, zwanzig. Mit vierzig weiß man zu viel vom Leben um noch ohne unterwegs sein zu können. Wenn Dir das Angst macht, dann kauf Dir lieber ein Cabrio statt das Geld in den Führerschein zu investieren.
Fünftens: Schlecht fahren immer nur die Anderen?
Bist Du ein guter oder schlechter Autofahrer? Fast alle Menschen antworten auf diese Frage, daß man selber super fahre, der Großteil der anderen Deppen hinterm Steuer, die da draußen umeinander fahren, die können es halt einfach nicht. Das tut mir jetzt sehr leid für Dich doch bitte verabschiede Dich von dem Gedanken, Du wärest ein superduper Autofahrer und sieh der Realität ins Auge: Du fährst nicht besser als der Großteil der anderen Verkehrsteilnehmer auch und Dir unterlaufen genauso Fehler. Sei froh, wenn keiner dieser Fehler bisher zu folgenreichen Konsequenzen geführt hat.
Du wirst erstaunt sein, was sich in zwanzig Jahren Fahrroutine alles für Fehler einschleichen, derer Du Dir erst bewußt wirst wenn Du wieder die Schulbank drücken mußt. Zum einen hat sich die Straßenverkehrsordnung seit Deiner letzten Prüfung verändert. Ja, was Du bisher für richtiges Verhalten empfunden oder gelernt hast, macht man schon seit zehn Jahren nicht mehr so … Füll einfach mal aus Jux und Dollerei einen Übungsbogen für die theoretische Prüfung aus. Du wirst peinlich berührt sein, mit wie vielen Fehlerpunkten Du krachend scheiterst.
Sechstens: Achterbahn für Dein Selbstbewußtsein.
Du wirst Momente erleben, da fühlst Du Dich unbesiegbar. Ich erinnere mich an den Tag, als es in meinem Kopf endlich „KLICK“ gemacht hat und ich in der Lage war mit der großen Fahrschulmaschine perfekte Kreise zu fahren. Da kam ich von der Fahrstunde nach Hause, hüpfte voller Begeisterung um Cookie herum und krähte dabei stolz „Ich kann Kreise fahren! Ich! kann! Kreise! fahren!!!“
Oder der Samstag morgen, wo die Sonne sich die Ehre gab, es aber noch sehr empfindlich kühl war und mein Fahrlehrer mich zum ersten Mal auf die offene Maschine setzte. Auf der ich bei wundervollem Licht mit knapp achtzig PS über die Landstraßen gondelte. Dieser Moment, wo mir mit Absolutheit klar wurde, daß genau das der Grund ist warum ich das alles tue. Der Moment, in dem ich mich unumkehrbar in das Motorrad fahren verknallte.
Genauso gab es die Stunde, in der nix klappen wollte. Ich war nicht in der Lage, Slalom zu fahren, ich fuhr die blöden Hütchen bei den Ausweichübungen um, ich würgte ständig an jeder Ampel die Fuhre ab und brach die Stunde irgendwann entnervt ab. Stieg von der Kiste und fuhr geknickt nach Hause, wo ich Cookie die Ohren vollheulte, daß ich das nie packen würde … Eine Woche später fuhr ich kompetent die Praktische.
Die Zeit in der Fahrschule hatte Höhen und Tiefen, ich habe mich nicht nur einmal in Frage gestellt. Mein Selbstbewußtsein ist an und für sich eine sehr stabile Angelegenheit, hat aber während der Zeit tatsächlich die ein oder andere Blessur davon tragen müssen.
Siebtens: Mach es für Dich.
Damit wäre eigentlich alles gesagt. Mach den Führerschein für Dich. Nicht weil Dein Partner es schön fände oder weil Deine Freunde Dich dazu überreden. Tu es weil Du es willst. Genieß die Zeit und freu Dich darauf, wenn Du zum ersten Mal mit Deiner eigenen Maschine fahren darfst.
Zu guter Letzt: Lohnt sich der Führerschein?
Ich habe es nicht bereut. Nicht einen Euro, nicht eine Peinlichkeit im Theorie-Unterricht, nicht eine Fahrstunde, nicht einen Zweifel, nicht einen Moment. Wenn ich etwas bereute, dann höchstens die Dummheit, den Schein nicht schon viel früher gemacht zu haben.
Du überlegst ob Du den Führerschein machen sollst auch wenn Du keine achtzehn mehr bist? Wenn Du das willst: dann unbedingt! Richte Dich darauf ein, daß Du Dein Herz an dieses Hobby verlieren wirst. Ganz altersunabhängig. Es gibt nichts Schöneres.
Es ist nie zu spät, damit anzufangen. Mach den Führerschein!