Gladbeck. Leichter Wind Nordost, neun Grad Außentemperatur, Dauerregen. Soll laut Regenradar auch nicht aufhören für die nächsten drei Stunden. Optimales Wetter also für eine praktische Fahrprüfung auf dem Motorrad. Nicht. Gut, mein Helm sitzt und der Adrenalinpegel erreicht gerade die Nasenspitze. Dann können wir mal los legen. Hauptsache, ich hab das bald hinter mir. Fahrlehrer gibt mir über Funk das Go und ab geht es, Richtung TÜV im Nachbarkaff. Es wird ernst.
Die ersten fünfhundert Meter geht mir die Pumpe bis zum Hals und der Adrenalinpegel legt noch mal eine Schippe oben drauf. Überall nasses Laub, Spurrillen, Schlaglöcher und riesige Pfützen. Das Wasser rinnt mir über das Visier und auf den Instrumenten erkenne ich nur noch die Hälfte. Nicht nur einmal merke ich, wie das Motorrad unter mir auf irgendwas kurz die Haftung verliert. Das kann ja heiter werden, denke ich mir und fahre mit zusammen gebissenen Zähnen weiter. Ich orientiere mich auf der Hauptstraße an den Autos vor mir, ich kann unter all den Wassertropfen auf Visier und Tacho nicht mehr wirklich die Geschwindigkeit ablesen.
Ich habe keine Angst davor, nass zu werde. Ich bin vor einigen Jahren noch bei fast jedem Wetter mit dem Roller zur Arbeit gefahren. Bei minus zehn Grad genauso wie bei Sturzregen, im Sommer und im Winter. Nur bei Schnee, da habe ich den Roller stehen lassen. Doch ein erwachsenes Moped mit gut zweihundert Kilo verhält sich eben anders als so ein kleiner Roller und nötigt mir auf nasser Fahrbahn gehörig Respekt ab. “Links abbiegen auf das TÜV-Gelände” kommt über Funk. Jetzt komme ich nicht mehr raus aus der Nummer.
Nachdem ich das Motorrad abgestellt habe und der Prüfer sich vorgestellt hat, darf ich meinen Personalausweis abgeben. Ja, ich weiß, daß der im Februar nächstes Jahr ausläuft. Papierkram geklärt, nun darf ich zeigen wie man das Lenkradschloß beim Motorrad bedient, die Funktion der Bremsleuchten überprüft und wo sich die Behälter für die Bremsflüssigkeit befinden. Das war es dann schon an technischen Fragen, auf zu den Grundfahrübungen. Mein verhaßter Schrittgeschwindigkeitsslalom …
Kreise fahren? Kann ich, gelingt mir. Langer Slalom? Ebenfalls, souverän kurve ich um die Pelonen. Ausweichen mit und ohne Bremsen? Tadellos. Gefahrbremsung? Ich halte das Motorrad in der Spur und komme ohne Kippeln zum Stehen, obwohl ich merke wie das Hinterrad über den nassen Asphalt rutscht – trotz ABS. Ist halt kein Wundermittel, so ein ABS. Schrittgeschwindigkeitsslalom? Natürlich fahre ich direkt den ersten Kegel um und mir bricht der Schweiß aus. “Machen Sie des halt in Ruhe noch mal,” kriege ich zu hören und beim zweiten Mal schaue ich stur geradeaus auf die Laterne. Immer schön das Gleichgewicht behalten, nicht nach unten gucken und durch. Siehe da, es bleiben alle Kegel stehen und ich kippe mit der Maschine nicht um. Grundfahraufgaben geschafft, trotz nassem Asphalt und Dauerregen. Gut, ich musste die Aufgaben dank des Regens nicht mit voller Geschwindigkeit fahren …
Weiter im Text. Der Vorteil des wirklich bescheidenen Wetters? Keiner fährt schneller als die maximal erlaubte Höchstgeschwindigkeit, eher langsamer. Was für mich den Vorteil bringt, ich überschreite kein Tempolimit. Auch wenn ich auf meinem Tacho nur eingeschränkt erkennen kann wie schnell ich eigentlich bin. Ich fahre nach Gefühl, wenn die Maschine im zweiten Gang anfängt zu klackern, dann weiß ich, daß ich langsamer als 30 km/h bin und ein wenig den Gashahn aufdrehen muss. Ebenso merke ich im dritten Gang, wann ich langsamer als fünfzig Sachen fahre. Stadt und über Land ist gemütliches Fahren. Ich übersehe kein Tempolimit, nehme niemandem die Vorfahrt, vergesse keinen Schulterblick, würge die Kiste nicht ab und rutsche beim Anhalten nicht weg.
“Da vorne dann auf die Autobahn, wir fahren Richtung Emden,” sagt der Mann in meinem Ohr. Der Adrenalinpegel knallt mir durch die Schädeldecke, Autobahn fahren ist mein Endgegner. Erst recht bei diesem Wetter. Dann auch noch Richtung Emden? Fuck, fuck, fuck. Das heißt durchs Dreieck Bottrop, was wiederum bedeutet ich muss die 270 Grad Schleife fahren. Die Kurve ist fies, da geht es irgendwo von hundert bis auf vierzig Sachen runter. Bloß kein Tempolimit überschreiten! Ich hoffe einfach mal, der Kleinwagen vor mir hält sich einigermaßen an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Und weil es so viel Spaß macht dreht der Regen den Hahn gleich mal drei Nummern auf …
Auf der 31 fahre ich gefühlt blind. Die Spiegel sind nass, mein Visier ist nass, es beschlägt zu allem Überfluß noch unten und die Instrumente kann ich auch nicht wirklich ablesen. Um mich herum ist es grau und durch den Dunst der aufgewirbelten Gischt sehe ich nicht mehr viel, die Rückspiegel sind naß und zeigen außer Regendunst nicht viel. Da ist plötzlich der Fahrschulwagen weg und in mir macht sich leichte Panik breit. Oh Gott, ich hab den Fahrschulwagen abgehängt! Scheiße, das wars. Kohle für die Prüfung versenkt, den Rotz darf ich bestimmt noch mal machen. Zu meiner immensen Erleichterung kriege ich die Order, die nächste Ausfahrt zu nehmen. Bloß runter hier, die Fahrt ordentlich zu Ende bringen, egal wie das zum Schluß ausgeht.
Überlebt. Ich bin wieder in der Stadt und fahre Hauptstraßen, das kann ich. Nach der großen, mehrspurigen Kreuzung, an der ich gefühlt fünf Ampelphasen warten muss weil vor mir so viele Autos sind, hat sich auch mein Puls wieder beruhigt. Ich biege vorschriftsmäßig links ab, meistere den Reißverschluss nach fünfhundert Metern ohne Probleme und darf noch eine Runde hinter der ein oder anderen SUV-Mutti durch die Nebenstraßen fahren. Nasses Laub, Schlaglöcher und beständiges Rechts-Vor-Links beachten inklusive.
Und dann war es das. Wir sind zurück an der Fahrschule, ich rolle das Motorrad in die große Halle, steige ab und stehe tropfnass, außen als auch innen, wie bestellt und nicht abgeholt im Trockenen. Prüfer und Fahrlehrer steigen aus und bereite mich geistig darauf vor, gleich ein “Tut mir leid, versuchen Sie es in zwei Wochen noch mal” zu hören. Was denn mit mir auf der Autobahn los gewesen wäre? Ich zucke mit den Achseln, ich hätte halt den Fahrschulwagen auf einmal nicht mehr gesehen in all der Gischt und nicht gewußt, was jetzt. Der Prüfer grinst. Mit rechts und links hätte ich es wohl auch nicht so. Rechts-Links-Schwäche, sage ich.
Nun, muss ich jetzt noch mal wieder kommen oder nicht? Ich weiß immer noch nicht, ob ich eigentlich bestanden habe oder nicht. Gefühlt bin ich mindestens fünf Mal durch gefallen und gefahren wie der letzte Idiot, der je auf einem Moped saß. Der Prüfer läßt sich meinen alten Führerschein aushändigen. Malt das heutige Datum auf den Neuen und überreicht mir das Stück Plastik mit den Worten “Herzlichen Glückwunsch und viel Spaß damit, immer schön vorsichtig fahren. Auf zwei Rädern haben Sie keine Knautschzone.”
Alter Falter, ich hab wirklich meine praktische Fahrprüfung bei den Bedingungen bestanden? Mir knallt nun der Endorphin-Pegel unters Schädeldach, ich grinse grenzdebil um beide Ohren und nehme meinen neuen Führerschein in Empfang. Ich darf ab dem heutigen Datum (04.10.2019) offiziell Fahrzeuge der Klassen A1, A2 und A führen. Ich verabschiede mich von Prüfer und Fahrlehrer und rufe Cookie an. Pitschnass stehe ich im Regen und teile dem Mann an meiner Seite mit kieksender Stimme mit, daß ich nun ganz offiziell Motorradfahrerin bin.
Und am Ende des Tages bin ich nicht nur von außen nass geregnet und von innen nass geschwitzt, sondern auch sehr, sehr stolz auf mich. Geschafft, ich hab es wirklich geschafft und mir den Traum vom Motorrad-Führerschein erfüllt! Wie geil ist das denn bitte?
Das …………………………. war wohl Hardcore vom feinsten. ???? Meine herzlich Gratulation dazu (ich hätte glaub die Maschine hingelegt).
Liebe Grüße, Ruthy
Jo, Sonnenschein und trocken wäre mir auch lieber gewesen 😉
Aber, am Ende alles egal, Hauptsache ich hab da im Führerschein die drei kleinen Sternchen stehen. Und, ein Jahr später, immer noch die beste Entscheidung – ich liebe das Motorrad fahren.
Liebe Grüße,
Frau Mirtana