Ich bin aus Überzeugung Motorradfahrerin geworden. Ich hätte auch Töpfern lernen können. Oder Stand-up-Paddling. Oder mich zu den Leuten gesellen können, die nach Feierabend ihre Wohnung minimalistisch mit Kerzenlicht ausleuchten und dann achtsam in die Flamme starren. Doch ich habe mich für zwei Räder mit 57 PS entschieden. Mein Schwänchen, die brave, unterschätzte Deauville mit Kardan und mehr Bauch als Biss. Und das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
Was mich allerdings regelmäßig sprachlos macht und mir den Wind aus dem Visier nimmt: Autofahrende Menschen, die anscheinend ihren Führerschein in einem Escape Room mit Stroboskoplicht gemacht haben. Menschen, die entweder komplett überfordert sind, sobald sie ein Motorrad sehen oder sich schlicht denken „Oh! Ein Moped! Endlich kann ich mal was richtig, richtig Dämliches tun!“
Liebe Vierrad-Piloten und Pilotinnen, ich weiß wirklich nicht, was euch reitet, wenn ihr Motorradfahrende auf der Straße seht. Denkt ihr, wir seien holographische Erscheinungen? Lebensmüde Rollschuhe mit Auspuff? Organspender auf zwei Rädern? Oder einfach nur eine gute Gelegenheit für euch, mal wieder alle Verkehrsregeln in den Wind zu werfen?
Dabei ist der Deal eigentlich ganz einfach. §1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) – das ist dieses juristische Dingsbums für alle mit Führerschein – beginnt mit einer ganz einfachen Ansage: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“. Da steht nicht „wäre schön, wenn …“, nicht „kann man machen, muss man aber nicht“ oder „wenn du gerade Bock hast“. Da steht: ERFORDERT. Punkt. Egal, mit was du unterwegs bist. Ganz einfach: Rücksicht. Vorsicht. Immer. Gegenseitig.
Und ich bin ganz schwer dafür, daß sich daran wieder mal ein paar mehr Leute erinnern. Insbesondere die mit vier Rädern, Airbags und null Schulterblick. Also, hier kommen ein paar Bitten. Hinweise. Notrufe. Nenn es, wie du möchtest. Hauptsache, du schaltest dein Hirn ein und hältst dich dran.
Punkt 1: Dein Blinker ist nicht zur Dekoration da.
Der Nachdrücklichkeit wiederhole ich das gerne: dein Blinker ist kein stilistisches Accessoire. Er hat tatsächlich einen Sinn. Bin ich mit dem Moped unterwegs und du fährst in deinem Auto vor mir, dann ist dein Blinker die einzige Möglichkeit, die du hast, um mit mir zu kommunizieren. Ich kann nicht in deinen Kopf schauen und Gedanken lesen. Ebenso wenig kann ich hellsehen. Wenn Du abbiegen oder die Spur wechseln willst, dann nutze deinen Blinker. Immer.
Ohne diesen kleinen Hebel läßt du mich hinter dir vollkommen im Dunkeln darüber, ob du abbiegen oder die Spur wechseln willst und ich habe dementsprechend keine Möglichkeit, mich darauf einzustellen. Setzt du den Blinker, dann weiß ich „Aha, der wird jetzt langsamer zum Abbiegen“ oder „Die kommt auf meine Spur“. Darauf kann ich mich einstellen und dementsprechend bremsen. Geschieht dein Spurwechsel oder Abbiegen ohne Vorwarnung für mich, kann das damit enden, daß dir plötzlich meine Vierteltonne Motorrad in die Karre schlägt.
Der Blinker ist also kein schnickschnackiger Schmuck am Auto, kein überflüssiges Lichtspielchen, sondern die einzige Sprache, mit der wir anderen Fahrern sagen können „Hey, ich will dort hin, stell dich drauf ein“. Blinken ist nicht einfach nur eine nette Geste oder Höflichkeit, sondern die wichtigste Form der Kommunikation, die wir auf der Straße haben. Also bitte, nutze die, damit wir alle sicher ans Ziel kommen.
Und ja, Motorradfahrer vergessen nach dem Abbiegen oder Spurwechsel gerne mal, den Blinker wieder auszumachen. Beim Auto geht der Blinker automatisch aus sobald das Lenkrad zurück gedreht wird. Bei den meisten Mopeds nicht. Kein Grund zur Panik, wir haben meist nicht vor, uns Hals über Kopf in den Straßengraben zu stürzen, sondern fahren friedlich geradeaus auf der Straße weiter. So lange wir nicht bremsen, biegen wir auch nicht ab – sei trotzdem vorsichtig, wenn das motorisierte Zweirad vor dir weiterhin blinkt. Es dauert meist den ein oder anderen Meter, bis ich checke, daß ich mal wieder verpeilt habe, den Blinker auszuschalten. Was mich zum nächsten Punkt bringt.
Punkt 2: Mindestabstand – immer und überall
Es ist wirklich ganz einfach: wenn ich mit dem Motorrad unterwegs bin, dann mag ich Luft hinter mir haben. Nicht nur so ein bißchen, sondern schon ganz ordentlich. Ich brauche euren Kühlergrill nicht an meinem Auspuff. Ich brauche auch keine Scheinwerfer, die mir ins Genick braten wie ein mittelguter Dönergrill. Und ich brauche definitiv keine Frontstoßstange, die mir beim Bremsen eine Rückenmassage verpaßt. Ich weiß, ich weiß. Nähe ist heute total im Trend. Körperkontakt, soziale Wärme, alles schön und gut. Aber doch bitte nicht bei 90 km/h auf der Landstraße. Ganz besonders nicht auf einer kurvigen Straße bergab.
Einfache Grundregel: wenn du mir mit deinem Wagen so nahe auf die Pelle rückst, daß ich deine Playlist erraten und die Sorte deines Wunderbaumes lesen kann – und nein, Helene-Fischer-Cover und Stinkefüße gehen da nicht als Entschuldigung durch – dann ist das kein Ausdruck von Zuneigung. Sondern schlicht und ergreifend ziemlich dämlich und für mich im schlimmsten Falle lebensgefährlich.
Ich habe keine vier Meter Blech um mich rum. Fährst du zu dicht auf und ich muß unvermittelt bremsen, tickst du mich nicht einfach nur an. Und ich plumpse dann nicht zurück in meinen Sitz, der mich warm und weich auffängt. Ich fliege und das meine ich nicht metaphorisch, sondern physikalisch. Mit Schwung in Richtung Asphalt. Ohne Happy End. Also, lass bitte Platz zwischen uns. Auch wenn es dir schwer fällt. Auch wenn du glaubst, daß du „das schon einschätzen kannst“. Nein. Kannst du nicht. Und mein Schwänchen ist kein Airbag-Testdummy, sondern ein ausgewachsenes Motorrad.
Zwei Sekunden Abstand. Oder: halbe Tacholänge. Simpel. Und im Zweifel rettet das mein Leben.
Punkt 3: Schulterblick gehört zur Grundausstattung.
Mittlerweile bin ich Mitte vierzig, da merkt man das ein oder andere Zipperlein. Mein Nacken macht manchmal Geräusche, als würde ich auf Cornflakes herum trampeln. Trotzdem schaffe ich es, beim Spurwechsel den Kopf ein winziges Stück zur Seite zu bewegen. Nicht, um zu schauen, ob mein Hinterkopf noch sitzt und das Kopf-Nacken-Ensemble beweglich ist. Sondern um zu checken, ob neben meinem Motorrad (Auto, Fahrrad, Vierspänner, you name it) eventuell jemand unterwegs ist. Den ich im Seitenspiegel nicht gesehen habe. Toter Winkel und so, haben wir alle mal in der Fahrschule gehabt, das Konzept.
Was ich stattdessen mittlerweile sehe: Menschen in ihren Autos, die beim Spurwechsel tiefentspannt geradeaus starren, als wären sie beim Optiker zur Augenuntersuchung und wollten den Sehtest nach Punkten gewinnen. Oder, noch besser, sie verlassen sich auf ihren Toten-Winkel-Assistenten, als hätten sie den allwissenden Verkehrs-Buddha an Bord ihres Panzers.
Kleiner Hinweis am Rande. Das Ding ist ein Assistent, also ein Hilfsmittel, und kein Alibi für hirnloses Fahren. Nur weil dein Auto piept oder irgendwo blinkt, heißt das nicht, daß du den Schulterblick ab sofort outsourcen darfst. Der ist nicht optional oder ein Special-Move für Fortgeschrittene. Sondern ein Teil der Grundausstattung. Der Assistent denkt nicht und wenn die Sonne scheiße steht, Dreck auf dem Sensor ist oder irgendwas daran kaputt sein sollte, dann blinkt oder piept dein Auto nicht wenn ich neben dir fahre. Also bitte, einmal kurz mit denken und den Kopf drehen. Auch wenn es knirscht und knackt.
Das kostet dich nichts und kann, wer hätte das jetzt vermutet, wieder einmal wirkungsvoll verhindern, daß dir meine Vierteltonne Motorrad ins Auto kracht.
Punkt 4: Ich fahre ab und an Schlangenlinien.
Und bin dabei nicht besoffen, auch wenn du das denken magst. Es sieht seltsam aus wenn ich nicht immer schön geradeaus in der Mitte der Spur bleibe. Verstehe ich. Ich bin da eher … dynamisch unterwegs. Wenn ich poetisch veranlagt wäre, dann würde ich tänzerisch sagen. Links, rechts, mal leicht versetzt – elegant wie eine kleine dicke Ente im Straßenballett.
Was du in deinem Auto hinter mir nicht siehst: diese vermeintliche Schlangenlinie ist mitnichten meinem (nicht vorhandenen) Alkoholkonsum geschuldet. Sie ist meine Überlebensstrategie. Ich meide Gullydeckel, weil die bei Regen glatter sind als Politikerantworten. Ich umfahre Bitumenstreifen, weil die bei Hitze zur Rutschbahn werden. Ich mache einen Bogen um tiefe Schlaglöcher, tote Tiere, Kies, Sand, Dreck, nasses Laub, weg geworfene McDreck Tüten, Bierdosen … Kurz gesagt, um alles, was mein Vorderrad zu einer Rutschpartie bringen und meine Fahrt in einer spontanen Bauchlandung enden lassen könnte.
Mein Motorrad bringt um die 250 Kilogramm auf die Waage. Und das ohne mich. Und verfügt pro Reifen über die Haftfläche einer Kreditkarte. Das ist kein Scherz. Zwei Kreditkarten, eine vorne und eine hinten. Für alles. Für Traktion, für Bremsen, für Kurvenlage, für den Unterschied zwischen Leben und Tod. Klingt dramatisch? Ist aber nun einmal so.
Dein Auto hat vier Räder. Und drückt pro Reifen wesentlich mehr Gummi auf den Asphalt als meine zwei im Gesamten. Wenn Du über einen toten Igel fährst, merkst Du das nicht mal. Für mich kann das unter Umständen bedeuten, daß mir der Reifen wegschmiert und ich einen Freiflug gewinne. Also verzeih, wenn ich nicht in der Spurmitte festgetackert bin. Gefühlt navigiere ich durch ein Minenfeld und tue dabei mein Bestes, nicht auszusehen wie ein nasser Kartoffelsack mit Helm. Es gibt für dich also keinen Grund, mich wie deppert mit der Lichthupe zu traktieren, dicht aufzufahren oder waghalsige Überholmanöver zu starten, nur um mir dann den Mittelfinger zu zeigen. Danke schön.
Punkt 5: Überholen ist keine Mutprobe.
Ich bin völlig fein damit, wenn ich dir zu langsam fahre und du mich überholen möchtest. Ich fahre zum Vergnügen und gerade wenn ich in mir fremde Gegenden mit unbekanntem Straßenverlauf unterwegs bin, dann fahre ich nicht immer Höchstgeschwindigkeit. Oder ich habe schlicht das Schild übersehen. Du darfst mich gerne überholen, ich bin keine beleidigte Leberwurst auf zwei Rädern mit Besitzanspruch auf die Straße. Allerdings hätte ich da eine Bitte: Überhol mich mit eingeschaltetem Hirn. Und mit ausreichend Platz.
Was ich nämlich regelmäßig erlebe: Menschen überholen mich, als wären wir bei der Tour de France und ich der unliebsame Straßenbelag. Mit einem halben Meter Abstand. Bei Gegenverkehr. In einem Affenzahn. Und am besten noch beim Einbiegen in eine unübersichtliche Kurve. Ehrlich, was soll das? Wir sind hier nicht bei Fast & Furious.
Schalt Dein Hirn ein und zur Not einen Gang runter. Fahr nicht so nah an mir vorbei, daß Dein Seitenspiegel meinem Ellbogen guten Tag sagt. Scher nicht einen halben Meter vor mir wieder ein. Da kommt eine Kurve oder eine Hügelkuppe? Dann bleib hinter mir. Der LWK auf der Gegenfahrbahn ist schneller da als Du vielleicht denkst. Du kannst die Strecke nur ein paar Meter überschauen? Dann geh eben vom Gas und warte, bis sich die Möglichkeit zum Überholen ergibt. Benimm Dich nicht, als wäre ich ein Verkehrshütchen, um das man Slalom fahren kann.
Punkt 6: Motorradfahrer grüßen sich.
Es mag seltsam wirken. Zwei Motorradfahrer begegnen sich, ZACK, Finger weg von der Kupplung, kleines Nicken, manchmal sogar ein geheim anmutender Gruß mit dem Fuß. Und dann sitzt du im Auto und denkst: „Was war das denn? Kennen die sich?“. Nein. Tun wir meistens nicht. Aber wir erkennen uns. Im Geiste. Im Helm. Im gemeinsamen Wissen. Wir sind da draußen, Wind und Wetter ausgesetzt, den Insekten, die auf unserem Visier zerschellen, und all den Unwägbarkeiten, die der Straßenverkehr so mit sich bringt.
Dieser Gruß ist wie ein höfliches Zunicken im Dschungel. Ein Zeichen stummer Solidarität. „Ich weiß, du frierst auch. Ich weiß, du bist wach und aufmerksam. Ich weiß, du fährst freiwillig durch diesen Wahnsinn.“
Liebe Autofahrende, ihr müsst nicht zurückwinken. Ihr dürft uns getrost ignorieren. Aber bitte, bitte: nicht irritiert gucken, urplötzlich abbremsen oder gar mit dem Handy filmen. Es ist kein Zeichen eines Geheimbundes, lediglich eine menschliche Geste, die im Straßenverkehr noch nicht von Blinkerlicht ersetzt wurde. Und wenn euch ein Motorradfahrer nach dem Überholen den Fuß rausstreckt: der möchte euch nicht treten. Der sagt „Danke, daß ich dich sicher überholen durfte.“ Das ist nett gemeint. Motorradfahrer sind sozialer, als ihr denkt. Was mich direkt zu Punkt sieben bringt.
Punkt sieben: Motorradkolonnen sind kein Hindernisparcours.
Mopedfahrer sind Rudeltiere. Wir fahren häufig gemeinsam. In Kolonne, Formation, wie immer du das nennen möchtest. Wir fahren versetzt, strukturiert, mit System. Das ist keine Laune, sondern Absicht. Das hat nichts mit Angeberei zu tun. Auch wenn ein Dutzend auf Hochglanz polierter Chromhaufen durch die Stadt fahren, als wäre gleich Apokalypse mit Musikeinlage. Es geht dabei um Gemeinschaft, Struktur und Sicherheit.
Was gar nicht geht, lieber Herr Sportwagen-Fahrer mit Bleifuß und Doppelkinn: sich mal eben schnell zwischen uns drängeln. Du bist nicht eingeladen, nicht Teil des Teams. Du bist der Fremdkörper in der Kolonne und deine Reindrängelei ist ebenso unerwünscht wie Steinchen im Kartoffelsalat.
Du meinst vielleicht, daß da zwischen der dritten und vierten Maschine noch ausreichend Platz für dein Auto und die Lücke wie perfekt für dich gemacht ist? Spoiler: ist sie nicht. Sie ist unser Sicherheitsabstand, Reaktionspuffer, unser kleines bißchen Luft zwischen Kontrolle und Katastrophe. Also, wenn du eine Kolonne von Motorrädern siehst: bleib bitte hinten. Fahr vorbei, wenn es sicher ist. Aber stech nicht mitten in die Formation wie der bayrische Landesminister beim Anzapfen des ersten Fasses auf dem jährlichen Massenbesäufnis Oktoberfest. Das kann übel enden.
Punkt acht: Motorräder sind schneller als du denkst.
Liebe Autolenker, ich sag’s euch mal ganz deutlich: euer Rückspiegel ist ein Lügner. Kein schlechter Mensch, nur ein fieser Trickser. Der gaukelt euch was vor. Und ihr fallt drauf rein – nicht weil ihr doof wärt, sondern weil Physik nun mal ein echtes Arschloch sein kann. Ihr seht ein Motorrad im Spiegel und denkt: „Och, das ist ja noch weit weg, der hat’s nicht eilig.“ Tja. Falsch gedacht. Wir sind nicht so gemütlich unterwegs. Wir sehen nur klein aus. Und klein heißt eben nicht langsam – das ist hier nicht Mario Kart, das ist der reale Straßenverkehr und ich habe kein zweites Leben wenn ihr mich von der Straße schießt.
Warum das so ist? Weil eure Spiegel konvex sind. Die sind extra so gebogen, damit ihr möglichst viel seht – was ja prinzipiell nicht verkehrt ist. Aber hier kommt der Haken: Diese Spiegel verzerren Entfernungen. Was klein aussieht, ist nicht automatisch weit weg. Es wirkt nur so. Motorräder wirken im Spiegel wie niedliche kleine Spielzeuge – mit dem feinen Unterschied, daß diese vermeintlichen Spielzeuge verdammt schnell fahren können. Das menschliche Hirn macht daraus: „Ach, der hat noch Zeit.“ Und genau das bringt uns alle in Schwierigkeiten.
Diese optische Täuschung sorgt leider regelmäßig für spektakulär blöde Reaktionen: Da wird mal eben die Spur gewechselt, als wär ich gar nicht da. Da zieht jemand aus einer Parkbucht, als wär ich eine lahme Ente auf dem Seitenstreifen. Oder es wird sich mit herrlicher Selbstsicherheit direkt vor mich gesetzt – mit exakt null Ahnung, wie schnell ich wirklich bin. Nur weil mein Motorrad mit der Optik eines fliegenden Toasters daher kommt, heißt das noch lange nicht, daß ich auch so gemütlich bin wie einer.
Also, tut eurem Gehirn einen Gefallen und gebt ihm die Chance, die optische Falle zu erkennen. Wenn ihr ein Motorrad im Spiegel seht, dann sagt euch ruhig mal laut: „Sieht klein aus – ist aber schnell.“ Und jetzt kommt der Teil, den viele von euch besonders gerne ignorieren: Ein Motorrad bremst nicht wie ein Auto. Also ja, technisch gesehen tut es das schon. Moderne Motorräder haben Bremsanlagen, da wird so mancher Kleinwagen neidisch. Meine Deauville hat allerdings kein ABS und genau das ist die Krux: ihr könnt als Laie nicht erkennen, ob ein Motorrad ABS hat oder nicht und schon mal gar nicht könnt ihr wissen, wie erfahren der auf der Maschine hockende Mensch ist.
Dazu kommt: Ich bremse nicht auf vier Rädern. Ich bremse auf zweien. Das bedeutet mit weniger Auflagefläche, mehr Rutschgefahr, und dem Wissen im Nacken, daß bei zu harter Bremsung nicht nur das Motorrad, sondern auch ich das Fliegen lerne. Gerade bei Nässe oder in Schräglage ist Bremsen auf dem Motorrad ein Balanceakt. Während ihr also fröhlich auf die Bremse latscht und euer Auto brav wie ein gut erzogener Golden Retriever stehen bleibt, muß ich überlegen: Bremse ich zu stark, lieg ich. Bremse ich zu sanft, krachts. Und das ist eine Entscheidung, die ich in Sekundenbruchteilen treffen muß.
Darum: Wenn ihr denkt, „Das reicht locker, ich bin ja schon durch“ – dann fragt euch besser, ob das auch für mich reicht. Spoiler: Tut es oft nicht. Und dann? Genau, ihr habt es schon geahnt: rauscht meine Vierteltonne Motorrad plus dem kleinen dicken Menschen darauf mit Schmackes in euren Kofferraum. Nicht schön für mich. Nicht schön für euch. Und sehr häßlich für euren Lack.
Fazit: Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
Ich wiederhole das gerne am Ende noch einmal: die Straßenverkehrsordnung ist ein für alle geltendes Gesetz und keine Vorschlagsliste, an die man sich nach Tageslaune halten kann. Sondern echtes, deutsches Verkehrsrecht. Mit allem Pipapo. Und wenn ihr euch in einer Situation unsicher seid, dann ruft euch einfach den ersten Paragraphen ins Gehirn: Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
Und ja, bevor hier alle wutschnaubend aus ihren Autos und mir aufs Dach steigen. Ich weiß, daß nicht alle Autofahrenden so sind. Die meisten von euch sind aufmerksam, rücksichtsvoll, nutzen ihren Blinker und überholen so nett, daß ich fast ein Tränchen verdrücken möchte. Für die sind wir nicht nur Organspender auf zwei Rädern, sondern die haben kapiert, daß sich unter dem Helm ganz normale Menschen verbergen, die nach einer schönen Tour heile zu Hause ankommen möchten statt als traurige Schlagzeile in den Lokalnachrichten zu enden.
So umgekehrt gilt das natürlich auch: nicht alle Motorradfahrer sind Engel auf zwei Rädern. Da gibt’s ebenfalls genug Idioten, wie überall im Leben. Die Poser, die mit 130 durch die 30er Zone knallen, mit ihren lauten, oft illegalen, Brülltüten kilometerweit zu hören sind, die Kurven schneiden wie pubertierende Hummeln auf Koffein, Rücksicht für einen Instagram-Filter halten oder sich generell benehmen wie eine offene Hose bei Gegenwind. Glaubt mir, die treiben mir genauso wie euch Autofahrenden den Blutdruck in die Höhe.
Aber, Hand aufs Herz. Die meisten von uns – vollkommen egal, auf wie vielen Rädern wir unterwegs sind – wollen einfach nur heile zu Hause ankommen. Vielleicht mit ein bißchen Freude im Herzen. Nach einer schönen Tour. Vielleicht auch mit einem leisen Kopfnicken und dem Gedanken „Das war heute ein guter Tag auf der Straße.“
Also: lasst uns doch da draußen einfach netter zueinander sein. Ein bißchen mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Ein bißchen mehr Schulterblick und mit denken. Ein bißchen weniger „Aber ich zuerst!“ – damit wir das alle überleben. Inklusive meiner Deauville, deines Außenspiegels und des §1 der StVO. Ganz ehrlich, damit hätten wir alle eine Menge gewonnen.