Endlich ist es soweit. Ich habe mich die vergangenen Wochen schon auf diese Tage im November gefreut. Nicht nur, weil ich meinen Koffer packen und weg fahren werde. Sondern weil ich im Begriff bin, etwas, für mich Besonderes, tun zu dürfen. Ich werde die kommenden Tage im Kloster verbringen und ausgiebig etwas Ungewöhnliches tun, was mich mit Vorfreude erfüllt. Nämlich einfach mal die Klappe halten. Wie jetzt, nicht reden? Im Ernst? Ja, im Ernst.
Mein Ziel ist die Abtei Marienstatt im Westerwald. Bevor ich mich für ein verlängertes Wochenende darin üben werde, nix zu sagen, treffe ich auf halbem Wege noch einen sympathischen Blognachbarn. Wie sich das gehört natürlich für ein gutes Gespräch bei hervorragendem Essen.
Bei dem wir zu dem Schluß kommen, daß der Mensch, der das Schokoküchlein mit flüssigem Kern erfunden hat, das vermutlich nur getan hat, um Menschen ins Bett zu bekommen. Sollte es Euch mal nach Hennef verschlagen, kehrt gerne beim Hennefer Wirtshaus im alten Bahnhof ein. Die können da was.
In Hennef sammle ich gut gesättigt (ja, das ist euphemistisch für das weitaus unelegantere Adjektiv „vollgefressen“) noch meinen Mitfahrer ein. Nach einer Stunde Fahrt über Land erreiche ich das idyllisch an der Nister gelegene Kloster. Ein imposanter Ort, der mir vom letzten Jahr bereits bekannt war. Denn nach meinem MBSR Kurs in Steinfeld dauerte es nicht lange bis ich über den Newsletter des Veranstalters auf das Schweige-Retreat aufmerksam wurde und mich kurzentschlossen dafür anmeldete. Das waren drei sehr schöne, anstrengende und lehrreiche Tage im vorjährigen November. Die mir sehr gut getan haben und was mir gut tut, wiederhole ich gerne.
Deswegen bin ich hier. Um mich an Deck dieses Dreimasters „Achtsamkeit im Schweigen“ zu begeben. Und als ich das Deck betrete, habe ich nicht nur meine Teetasse (ich reise mit eigener Teetasse, aus Gründen), den Wasserkocher, meinen Lieblingstee, die Wärmflasche und meine Yogamatte im Gepäck. Mitgebracht habe ich auch jede Menge Vorfreude. Ich freue mich auf Ruhe. Darauf, keine Anforderungen gestellt zu bekommen, auf die ich reagieren muß. Auf Stille im Außen, um den Stimmen im Inneren zuhören zu können. Auf Meditation und Zeit für mich. Darauf, nicht reden zu müssen. Auf Rückzug von meinem Alltag und der Welt. Und mit mir alleine sein zu können in Gesellschaft von anderen Menschen. Klingt komisch, ist aber so.
Im Gepäck habe ich zudem Erwartungen. Schließlich habe ich die Erfahrung letztes Jahr schon einmal gemacht und weiß, was da auf mich zukommt. Da ist mir doch klar, wie der Hase läuft. Tja, wie sagte dieser Philosoph so schön? Man kann nicht zwei Mal in denselben Fluß steigen. Stimmt. Ich kann auch nicht zwei Mal einen Schweige-Retreat besuchen und am Ende mit dem gleichen Ergebnis nach Hause fahren. Mit dieser Erwartung werde ich am ersten Tag baden gehen.
Denn der erste Tag stellt uns vor die Aufgabe, im eigenen Körper anzukommen und ihn achtsam wahrzunehmen. Statt jedoch in mir selber zu Hause anzukommen und es mir dort gemütlich zu machen, lege ich noch vor der Türe meiner Kajüte eine ordentliche Bruchlandung an Deck hin. Dieser erste Tag ist so unfaßbar anstrengend, obwohl ich nichts anderes tue mit meinem Körper als zu sitzen, sanftes Yoga zu machen und ein wenig spazieren zu gehen. Denn statt gelassen und friedvoll in meiner Meditation aufzugehen, beschließt mein Geist, das hier wäre jetzt eine super Gelegenheit für einen ausgiebigen Frühjahrsputz. Im Herbst. Mein Geist scheint keinen Kalender zu besitzen, wie mir scheint.
Während jeder Meditation dauert es keine drei Atemzüge, da kurbelt dieses Ding namens Geist das Gedankenkarussell an und wirft mir all den Ballast der letzten Monate zu Füßen. Guter Ort. Denn die letzte Zeit haben sich auf meinen Schultern eine Menge Wackersteine angesammelt und großes Gewicht auf den Schultern drückt den Rücken krumm. Und mit gekrümmtem Rücken kann man wunderbar auf die Schiffsplanken vor den eigenen Füßen starren, aber nicht in die Weite des Horizonts. Beim Bodyscan bin ich permanent weg gedriftet und bekam wirre Sequenzen, die jeglicher Logik entbehrten, auf die innere Leinwand geworfen. Als habe sich ein drittklassiger Regisseur an der filmischen Umsetzung eines Drogentrips versucht. Nach diesem Bodyscan fühle ich mich wie am Tag nach meinem Abflug vom Motorrad im Mai.
Dieser erste Tag kostet mich unglaublich viel Kraft. Loslassen, wie anstrengend kann das sein? All den Ärger, die Wut, den Frust, die Niederlagen, die Irritationen loslassen um am Abend körperlich total zerschlagen und ausgelaugt zurückzubleiben. Als wäre ich oben vom Krähennest ungebremst aufs Deck geknallt. Ich bin enttäuscht und traurig. Allein in meinem Bett beschließe ich, morgen nach Hause zu fahren. Das war mit Sicherheit nicht, weswegen ich her gekommen bin. Von wegen Entspannung. Am Allerwertesten. Dann springe ich einfach über Bord und breche die Reise ab. Bevor der Dreimaster in zwei Tagen den Hafen erreicht. Schließlich bin ich eine gute Schwimmerin, ich komme schon zurück an Land. Mit diesem Gedanken schlafe ich schlußendlich ein.
Und mit diesem Gedanken wache ich am nächsten Tag auf. Um von einer leisen Stimme, mehr ein Stimmchen, im Inneren zu hören „Stell dich nicht so an, heute ist ein neuer Tag. Genau deswegen bist du hier. Und gekniffen wird nicht.“ Auch, wenn ich das ungerne zugebe, doch am Ende hat das Stimmchen recht. Genau deswegen bin ich hier. Um erst kräftig aufs Deck zu knallen, damit ich los lassen und wieder mit geradem Rücken in die Weite blicken kann.
So, wie ich am ersten Tag mit Schmerzen all den Ballast los wurde, den ich mit an Bord geschleppt habe, so ist der zweite Tag geprägt von Klarheit, Leichtigkeit, Aufmerksamkeit und Entspannung. Mit Ruhe und dem wohligen Gefühl, wieder in mir selber angekommen zu sein. Im Laufe des Tages sehe ich mich, meine Sorgen, Gedanken, Pläne als auch meine Umwelt von anderen Standpunkten aus. Etwas, das ich als äußerst wohltuend empfinde. Am Ende dieses Tages bin ich wieder erschöpft, doch nicht auf eine schmerzhafte, sondern eine angenehme, heilsame Weise. Kaum habe ich die Augen geschlossen, falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Der letzte Tag endet mit dem gemeinsamen Brechen des Schweigens vor dem Mittagessen. Nachdem die Matrosen das Schiff verlassen und sich wieder in alle Himmelsrichtungen zerstreuen werden. Ich gehe von Bord mit meinem Gepäck, in dem sich Wasserkocher, die Wärmflasche, mein Lieblingstee, sechs Liter Apfelsaft aus dem Klosterladen und die Teetasse befinden. Auf der übrigens – Funfact – tatsächlich „Time to Relax“ steht. Da habe ich keine Wackersteine mehr auf den Schultern. Mit geradem Rücken, einem weiten Blick, Leichtigkeit und Dankbarkeit im Herzen trete ich meinen Heimweg an.
Dankbar für unsere Kursleiterin, die uns am Steuer dieses Schiffes namens „Achtsamkeit im Schweigen“ so sicher durch stürmische Gewässer navigiert hat. Für C., die uns ordentlich die Masten rauf und runter gescheucht hat mit ihrer tollen Art, Yoga zu unterrichten. Für die anderen Matrosen. Und dafür, daß ich nicht entmutigt über Bord gesprungen, sondern dort geblieben bin.
Mit der Hoffnung, diese Erfahrung möglichst lange in den Alltag hinüber retten zu können, starte ich den Wagen und lasse das Kloster hinter mir. Bei Regen und grauem Novemberhimmel. Irgendwo bei Köln stehe ich, wie sollte es auf der A3 auch anders sein, im Stau und da reißt der Himmel auf. Die letzten achtzig Kilometer verziehen sich die Wolken, das Nachmittagslicht wird golden und die Herbstkleider der Bäume beginnen zu leuchten.
„Was ein schönes Sinnbild für die letzten Tage“ denke ich mir und freue mich mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht, wieder nach Hause zu kommen. Denn das Schönste an jeder Reise ist das Heimkommen. Dorthin, wo Cookie auf seine Frau wartet. Die gerne so komische Dinge macht wie einfach mal ein paar Tage die Klappe halten. Immerhin bringt sie leckeren Apfelsaft von ihrem seltsamen Trip mit.
Zwei Tage nach meiner Rückkehr habe ich mich für nächstes Jahr bereits angemeldet. Denn was mir gut tut, wiederhole ich schließlich gerne. Ich bin gespannt, wohin mich die Reise auf dem Dreimaster dann bringen wird.
Ich mag diese Mischung aus Text und Fotos SEHR! Und man spürt beim Lesen, welche Gedankenänderungen den Formulierungen vorangegangen sein mögen, ich musste sanft lächeln dabei.
Und ich kann Dir nicht genug danken für den Impuls mit dem Bildungsurlaub! Dass ICH nächstes Jahr bei meinem Aufenthalt auf einem Schloss auch die Klappe werden können bei meinem Seminar, kann und mag ich mir aktuell noch nicht wirklich vorstellen 😂.
Vielen Dank für die Blumen, es freut mich immer wenn ich andere zum Lächeln bringen kann. 🙂
Bin sehr gespannt auf den Erfahrungsbericht aus dem Bildungsurlaub. Und tröste Dich, Schweigen ist nur an einem Tag angesagt, den Rest der Zeit darfste durchaus reden. Wird eine interessante Erfahrung und denke, Du wirst das mit Sicherheit überleben. Vielleicht sogar genießen?
Liebe Grüße
Frau Mirtana
P.S.: Danke für den Hinweis bei Dir 😘