Der Tag, an dem ich mein Handy vergaß

Der Tag, an dem ich mein Handy vergaß.

Vor ein paar Tagen verließ ich das Büro und obwohl ich vor dem Gehen routinemäßig den Check „Schlüssel Büro, Schlüssel zu Hause, Schlüssel Fahrrad, Schlüssel Garage, Portemonnaie, Handy, alles in der Handtasche?“ durchführe bevor ich die heiligen Hallen des Lohnerwerbs verlasse, muß ich an dem Abend recht zerstreut gewesen sein. Bis auf mein smartes Kommunikationsgerät hatte ich alles Wichtige dabei.

Eine Trennung auf Zeit.

Was mir im Drogeriemarkt schon hätte auffallen müssen, denn meine Liste der zu besorgenden Dinge war auf dem Smartphone gespeichert. Weil, wenn mir was einfällt, was ich besorgen muß, schreibe ich mir das in eine Notiz-App. Bevor es dem Vergessen anheimfällt, ich werde schließlich auch nicht jünger. Bin dann ohne digitalen Einkaufszettelnotiz durch den Markt geschlendert… Ach, Moment. Gemüsebrühe habe ich nicht gekauft, bin gleich wieder da, muß mir das mal eben notieren… Wo waren wir? Richtig.

Gemerkt habe ich die Abwesenheit des Kommunikationsgerätes erst zu Hause, als meine Handtasche mir glaubhaft versicherte, daß sie jetzt alles an Inhalt ausgespuckt hätte und kein Handy dabei wäre. Tja, dann wird es wohl noch im Büro liegen… Mist. Allerdings war ich schlicht zu faul, mich aus meiner gerade angezogenen Jogginghose zu bewegen, das Haus zu verlassen, um zur Arbeit zu fahren nur wegen eines technischen Geräts, das ich streng genommen zu Hause sowieso nicht brauche. Wozu habe ich ein altmodisches Festnetz-Telefon? Und wecken lassen, naja, dann muß halt eine andere Weckmöglichkeit ran, zur Not geht das Tablet. Einen Abend ohne Handy, das wird nun wahrlich zu verschmerzen sein.

Nimm mich, Du willst es doch auch!

Dachte ich. Zugegeben, Schmerzen hat es mir nicht bereitet. Wohingegen ich die Erkenntnis gewann, wie häufig mein Griff nach dem Teil an diesem Abend ins Leere ging. Spoiler: wesentlich häufiger als ich angenommen hätte, wäre ich gefragt worden, was ich glauben würde wie oft ich das Ding in meiner Freizeit in die Hand nähme.

Dazu muß man wissen, daß mein Smartphone abends ab neunzehn Uhr automatisch nur noch Anrufe und Textnachrichten von als wichtig markierten Kontakten anzeigt. Und das sind wahrlich nicht viele, da reichen zum Zählen noch die Finger beider Hände. Für die meisten Apps habe ich die Push-Benachrichtigungen ausgestellt, es sei denn sie haben eine warnende Funktion. WarnWetter und NINA zum Beispiel. Social Media Apps nutze ich nicht, ich habe keine Accounts mehr. Es tut sich also, gerade ab neunzehn Uhr, sehr wenig auf dem Display meines Telefons. Und ich hätte Stein und Bein drauf geschworen, daß ich das Ding selten bis gar nicht anfasse …

Erkenntnis ist der erste Schritt und so.

Erschreckend an dieser kleinen Episode finde ich, wie unbewußt ich mir dessen war. Und dann habe ich angefangen, bewußt darauf zu achten. Selbst beim Lesen, und ich bin wirklich jemand, der ganz und gar in einer guten Geschichte versacken kann (oder konnte …), kam der Griff zum Hosentaschen-PC mit Anruffunktion. Wenn ich wenigstens behaupten könnte, ich hätte es in die Hand genommen um Fremdworte oder englische Begriffe, die mir nicht geläufig sind, nachzuschlagen. Nein, es könnte sich ja etwas auf dem Display getan haben, was jetzt meine Aufmerksamkeit verlangt.

Und das Lesen kann ich nur als eines von vielen Beispielen anführen. Meine Aufmerksamkeitsspanne scheint zu schrumpfen wenn das Smartphone irgendwo in Sichtweite und erreichbar herum liegt, womit ich wohl nicht alleine zu sein scheine. Häufig fange ich etwas an, wie zum Beispiel das Schreiben eines neues Blogbeitrags oder das Erstellen eines Fotobuchs, und kurze Zeit später hab ich das smarte Telefonding in der Hand. Stelle fest „Hat sich nix getan“, aber wenn ich es schon mal vor dem Gesicht hab … Ach komm, eine schnelle Runde Sudoku geht immer. Tja … Aus der einen Runde werden schnell mal eins, zwei, drei ganz viele und BÄMM, eine Stunde rum. Geschafft hab ich am Ende natürlich nix, sondern gleich auch noch den Faden verloren und überhaupt, es ist jetzt kurz vor zehn und morgen ist Arbeit und lohnt sich nicht doch gar nicht mehr, jetzt noch was anzufangen.

Ja, ja, früher war halt alles besser.

Möchte ich wirklich wissen, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit ich dem Smartphone schon in den Rachen geschmissen habe, die ich für Aktivitäten und Freizeitgestaltungen hätte nutzen können, die meinem Seelenheil besser zuträglich sind? Ich glaube nicht, das würde mich vermutlich nur deprimieren. Und ich bin noch nicht in dem Alter, wo man von den guten alten Zeiten, in denen alles besser war, schwärmt und dabei den feinen Unterschied zwischen „besser“ und „anders“ gekonnt ignoriert.

Manchmal komme ich dennoch nicht umhin, die Zeiten zu vermissen, in denen es noch keine Smartphones gab, die sich so fest in unserem Alltag verankert haben, daß sie fast schon zu einem Teil von uns geworden sind. Ich verteufel die Dinger nicht, im Gegenteil. Viele Funktionen finde ich durchaus nützlich und möchte sie nicht mehr missen. Musik hören ohne ein weiteres Gerät mit mir herum schleppen zu müssen? Find ich super. Genauso wie Navigations-Apps oder einfach die Möglichkeit, im Unbekannten zu stehen und die Öffnungszeiten eines Museums oder Restaurants in Erfahrung zu bringen. Und manchmal vielleicht bloß die Möglichkeit, mal eben ein Foto machen zu können wenn mir etwas über den Weg läuft und meinen Blick einfängt.

Was ich hingegen vermisse ist der Teil meines Wesens, der sich nicht so einfach ablenken ließ. Der so tief in ein Buch eintauchen konnte, daß ich für meine Umwelt nicht mehr erreichbar bin. Der in der Lage war, eine Aufgabe anzufangen und hochkonzentriert daran zu arbeiten ohne sich selber alle paar Minuten aus der Konzentration zu reißen weil auf einem Display ganz eventuell irgendwas unbedingt meine Aufmerksamkeit braucht.

Die Moral von der Geschicht?

Ich weiß es, ehrlich gesagt, noch nicht. Die einfachste Lösung, das Smartphone ganz abzuschaffen, behagt mir einerseits, doch andererseits müßte ich dann wieder einen MP3 Player mit mir herum schleppen, ein Navigationsgerät fürs Auto und Motorrad kaufen und im Allgemeinen eine riesige Tasche mit mir herum schleppen, die genug Platz bietet um zusätzlich noch eine Kamera und mindestens ein Buch immer an der Frau zu haben. Haut mich jetzt nicht um, die Alternative. Also bleibt das Smartphone.

Allerdings wird der clevere Anrufknecht in meiner Freizeit außer Sichtweite verbannt. Wenn ich einen Beitrag schreiben oder Fotos bearbeiten möchte, mich in einem guten Buch verlieren will oder mich mit etwas beschäftigen mag, was meine Konzentration im Hier und Jetzt erfordert, dann kommt das Handy einfach in eine Schublade oder in den Flur. Hauptsache, es liegt nicht in meinem Blickfeld und lockt die ganze Zeit mit der Drohung, es könne sich ja etwas Weltbewegendes getan haben in den paar Minuten seitdem ich es zurück auf den Tisch gelegt habt … Spoiler: in neunundneunzig Prozent der Fälle ist das nichts, was nicht warten könnte bis ich Zeit dafür habe. Außerdem gilt: wenn es wirklich wichtig ist, dann ruf mich halt an.

Konzentration und sich im Moment befinden können sind Fähigkeiten, die ich mir irgendwann antrainiert habe. Und ich war da richtig gut drin. Nur, weil ich mir diese Fertigkeiten schleichend und unbewußt abgewöhnt habe in den letzten Jahren, muß das nicht heißen, daß ich das nicht wieder zurück holen kann in mein Leben. Ich möchte einfach nicht mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Fruchtfliege durch die Weltgeschichte laufen.

Übrigens, was ich nicht sehe, lenkt mich nicht ab. Das Smartphone lag die ganze Zeit, in der ich diesen Beitrag getippt, Korrektur gelesen, formatiert und zur Veröffentlichung fertig gemacht habe, im Flur. War eben auf dem Rückweg vom stillen Örtchen heimlich nachsehen und in der Tat, es ist nix Weltbewegendes passiert.

Geht also.

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